Wert & Werte
Universell und doch individuell

Tagtäglich zücken wir das Portemonnaie und fischen Münzen, Scheine oder Plastikkarten heraus. Geld und die Gegenstände, die wir damit kaufen können, haben einen überindividuell festgelegten Wert. Jedes Ding besitzt aber nicht nur einen materiellen Wert, sondern auch einen immateriellen Wert, den jeder Mensch selbst bestimmt. Persönliche, kulturelle und wohl auch andere Vorlieben entscheiden darüber. Hier liegt eine Geschichte verborgen, der ich nachgehen möchte. Wie wichtig sind uns materielle Dinge? Welche anderen Werte machen uns glücklich? Was bezeichnen wir als wertvoll? Meine Story erzählt auch Geschichten, die mir Menschen aus verschiedenen Ländern und Zeiten anvertraut haben, ganz nach dem Motto «Geld spricht alle Sprachen».

Teuer & lieb
Teure Leserin, werter Leser. Im deutschen Wortschatz sind die Wortfelder ‘teuer, wertvoll, kostbar’ und ‘mit hohem Geldwert’ eng verbunden. In anderen Sprachen ist dies ähnlich: das Spanische 'caro' übersetzt sich sowohl als 'teuer' als auch als 'lieb', wie auch das Französische ‘cher’ mit demselben Wortursprung. Wir nennen unsere Liebsten 'Schatz' und zahlen es unseren Feinden heim, indem wir Vergeltung üben.
Beim Wort 'Geld' denken wir heute meist an etwas Materielles – Münzen, Scheine oder zumindest eine Zahl in der Bank-App. An etwas, das man anhäufen und mehren kann. In der Geschichte des Geldes stand aber etwas anderes im Vordergrund. Das althochdeutsche gelt bezeichnet eine Zahlung, einen Tausch, nicht ein Gut, das man sammelt (Quelle: DWDS). Früher schien Geld also in erster Linie Beziehungen zwischen Menschen zu stiften. Welchen Stellenwert hat es heute für uns?



Mexiko - Schweiz
Geld ist nicht gleich Geld. Wer in ein anderes Land reist, merkt, wie unterschiedlich mit Geld umgegangen wird. Das haben auch Alejandro und Helen erlebt – er ist Mexikaner, sie Schweizerin. Sie sind ein Paar, jedes kennt das Land des anderen gut. Dennoch kommt es oft zu seltsamen, verwirrenden und unterhaltsamen Situationen, die sie mit mir geteilt haben.
Alejandro in der Schweiz
«Der Bettler dort trägt ja eine bessere Jacke als ich», witzelt der Mexikaner, als er vor einem Einkaufshaus in der Schweiz einen Bettelnden erblickt. Alejandro ist verwirrt.
«Der Unterschied zwischen Reich und Arm ist in der Schweiz so subtil, dass er kaum auszumachen ist.»
Während man in Mexiko sein Geld zur Schau stellt, sehen in der Schweiz alle gleich aus. Er kommt zum Schluss: in der Schweiz umfasst der Mittelstand nahezu jeden – alle haben dieselben finanziellen Möglichkeiten. Dennoch stimmt diese Erfahrung nicht mit den Dingen überein, die man sonst über die Schweiz weiss. Luxusuhren, edle Schokolade, Bankenhochburg.
Wo aber sind die Superreichen? Beim Dolder sieht man Autos im Wert von zwei Millionen. Im Heimatland bedeutet ein solcher Reichtum Status und Macht. Hier hingegen sind alle Arten von Leuten miteinander verbunden – eine Studentin, die ein Stipendium erhält, ist eng befreundet mit jemandem aus der Mittelschicht und einem weiteren im Bunde, der ein Ferienhaus mit Bediensteten im Tessin sein Eigen nennt. Alle bewegen sich in derselben Sphäre. In Mexiko wäre es gentrifiziert: verschiedene Wohnviertel, Restaurants, Schulen, Fitnessstudios, je nach Klasse.
«In der Schweiz steht den Leuten viel mehr Geld zur Verfügung.»
Schweizerinnen und Schweizer hätten ausserdem viel mehr Geld zur Verfügung, erzählt Alejandro. In Mexiko muss man im Durchschnitt für ein iPhone über zwei Monate arbeiten, während in der Schweiz dieselbe Summe in drei, vier Tagen erwirtschaftet werden kann. Das schliesst die Schere zwischen Arm und Reich massiv.
Menschen in der Schweiz leben nach Alejandros Auffassung in einer Bubble. Auch wenn es hier Arme geben mag, Armut so wie er sie auf den Strassen sieht und selbst für den Mittelstand ständig ein drohendes Übel darstellt, kenne man in der Schweiz nicht.
Helen in Mexiko
«Über Geld redet man nicht, Geld hat man.» So hiess es im Elternhaus von Helen. Das sagen nur Privilegierte. Kitschige Spielfilme und ihre ‘Lebensweisheit’, dass Geld kein Glück kaufen kann, gaben den Rest. Dabei hätte es nur eines Seitenblicks auf die Sorgen und Probleme anderer bedurft.
Fakt ist: Geld löst Probleme, auch und besonders in Mexiko. Sei es, die teure Medizin für den kranken Vater, ein sicherer Uber statt der vollgestopften, gefährlichen Metro oder einfach Zeit für Familie und Freunde, statt dem vierten Nebenjob hinterherzurennen. Gleichzeitig garantiert Geld in Mexiko Status und Macht.
In Mexiko fiel Helen auf, wie gross die Unterschiede zwischen Arm und Reich sein können. Die Schere öffnet sich unübersehbar: Reichtum muss man in Mexiko zeigen. Statussymbole gehören zur Selbstinszenierung, man demonstriert gewissermassen den eigenen Wert. Dieser Umgang mit Geld schockiert Helen. Geld wird ausgegeben, sobald es vorhanden ist – wozu sparen, wenn man jetzt eine Gucci-Tasche kaufen kann? Und die nächste Monatsmiete? «Schulden sind böse», die alte Devise vieler Schweizer, bringt einen in Mexiko an Grenzen.
Mexikaner seien in ihrem Umgang mit Geld äusserst kreativ, verrät Helen. Man kreiert dort eine Arbeitsstelle für alles nur Erdenkliche – Einkaufen wird als Tourist zum regelrechten Abenteuer. Beim Hinfahren gibt es einen Parkwächter, der pfeift, andere Autos aufhält und beim Einparkieren behilflich ist – für Trinkgeld, versteht sich. Im Warenhaus wuseln lauter Verkäuferinnen und Verkäufer herum, nach der Kasse werden die Einkäufe von älteren Angestellten in Säcke verpackt – auch ihnen steckt man etwas zu. Man muss sich was einfallen lassen, um zu Geld zu kommen!
Der Stellenwert von Geld und Umgang damit ist nicht nur kulturell, sondern auch historisch bedingt. Tauchen wir ein in einen Roman aus der Frühen Neuzeit, in dem die Jungfrau des Glücks aus Arm Reich macht und die Leser vor die Frage stellt: Wie lässt sich mit einer unerschöpflichen Geldquelle leben? Gibt es vielleicht doch noch höhere Werte im Leben?
Reichtum und Glück
Wärst du lieber reich oder weise, stark oder schön, gesund oder unsterblich? Vor diese Wahl gestellt sah sich Fortunatus, die Hauptfigur des gleichnamigen frühneuhochdeutschen Romans aus anonymer Feder. Der junge Bürgersohn ist am Tiefpunkt seines Lebens angelangt – er verirrt sich im Wald, verhungert halb und wird beinahe von einem Bären verspiesen. Das Glück will es, dass sich gerade dann das Blatt für ihn wendet. Die Jungfrau des Glücks erscheint ihm und bietet Fortunatus eines von sechs Glücksgütern an: Weisheit, Reichtum, Stärke, Gesundheit, Schönheit oder langes Leben. Die Wahl fällt dem jungen Mann nicht schwer; ohne lange zu überlegen entscheidet er sich für Reichtum. Von da an stolpert Fortunatus wieder in eine Gefahr, denn ihm wird nicht geglaubt, dass ein so ärmlich aussehender Kerl solch grossen Reichtum besitzen kann. Fortunatus lernt daher, schlau mit seinem Besitz umzugehen. Er geht auf Europareise mit einem erfahrenen Freund und bildet sich. Daraufhin lässt sich Fortunatus nieder, heiratet in den Adel ein, da er dank seinem Reichtum die Gunst des Königs erlangt, und gründet eine Familie – man könnte meinen, sein Leben könnte gar nicht besser sein. Als ihn die Reiselust wieder packt, schafft er es allerdings, sich noch ein zweites magisches Hilfsmittel zu ertricksen: ein Zauberhütchen, mit dem man sich irgendwohin wünschen kann. Nach einem langen, erfüllten Leben gibt Fortunatus seinen Besitz seinen Söhnen weiter. Sie scheinen aber nichts von der Erfahrung und der Menschenkenntnis ihres Vaters abbekommen zu haben. Wie der Vater aus dem Nichts aufgestiegen ist, kommen die beiden kläglich zu Fall: der eine wird nach einer Kette von Schicksalsschlägen ermordet, der andere verkümmert aus Angst und Sorge.
Der Roman kreist um die Frage: Was hätte Fortunatus denn am besten wählen sollen? Wäre Weisheit vielleicht doch nützlicher gewesen? Während Fortunatus’ Leben erfolgreich endet, verlieren seine beiden Söhne alles – ihr Leben eingeschlossen. Braucht es neben Geld und Grips also doch auch Glück?
Ich wollte herausfinden, welche Werte heute unser Glück ausmachen. Junge Studierende aus verschiedenen Ländern haben mit mir über den Stellenwert von Geld in ihrem Heimatland nachgedacht.



Österreichischer Verwandter – Manuel
Manuel ist vor Kurzem ins Arbeitsleben eingestiegen und ist als Lebensmitteltechnologe tätig. Wie die Österreicher und er selbst Geld gegenüber eingestellt sind, verrät er mir in einem Interview. Zum Beispiel: Sparen wird den österreichischen Kindern sogar in der Schule beigebracht! Eigentum sieht er als Faktor, den die Gesellschaft stabilisiert.
Die Bedeutung von Geld für Manuel und Österreich
Der Wert von Besitz
Manuel macht sich interessante Gedanken zu dem, was Besitz und Geld mit den Leuten macht.
Sparen und Geld ausgeben
Österreicher lernen schon von Kindesbeinen an zu sparen. Manuel erzählt von seinen Erinnerungen.
In Fortunatus' Schuhen
Wäre Manuel in Fortunatus' Situation und könnte aus den sechs Glücksgütern auswählen, würde er Gesundheit wählen. Sein höchstes Gut ist eine Mappe gefüllt mit selbst geschriebenen Gedichten und Liedern sowie seine Erinnerungen.

Koreanische Freundin – Ahri
Ahri ist eine koreanische Studentin, deren Fach und Leidenschaft die englische Literatur ist. Sie lebt in Seoul und gab mir einen Einblick in den Umgang mit Geld. Erstaunlich fand ich, dass in Korea laut Ahri alle liebend gerne über Geld reden. Von wegen Tabuthema!
Geld und Investition in Korea
Arm und Reich in Korea
Ahri erzählt, wie sich der Reichtum in Südkorea entwickelt hat und wie er sich heute verteilt.
Trailer zum Film, den Ahri vorgeschlagen hat und der die finanzielle Situation Koreas gelungen darstellt:
In Fortunatus' Schuhen
Ahris liebster Gegenstand sind ihre Tagebücher, in denen sie ihr Leben festhält.

Finnische Freundin – Anna:
Meine finnische Freundin Anna macht zurzeit ein Auslandsemester in Barcelona und studiert Wirtschaftswissenschaften und Sprachen. Ich habe sie virtuell getroffen und mit ihr über den Stellenwert von Geld für sie und ihre Gesellschaft geredet.
Wie wichtig ist dir Geld?
Ich denke, dass Geld ziemlich wichtig ist, traurigerweise, aber es ist so. Für mich ist es schön, Geld zu haben, weil ich Shopping, Reisen und schöne Dinge mag. Ich habe gemerkt, dass Geld zwar nicht glücklich macht, aber gleichzeitig wird alles einfacher, wenn man viel Geld hat – man muss sich nicht sorgen und kann freier leben. Wenn man zum Beispiel in den Supermarkt geht, muss man sich nicht überlegen, ob man jetzt den Budget Saft kaufen muss oder irgendeinen, den man möchte. Daher ja, ich würde sagen, dass Geld ziemlich wichtig ist.
Neben Shopping und Reisen, wofür gibst du dein Geld aus?
Ich gebe meist Geld für das Zusammensein mit Freunden aus – zum Beispiel ins Kino, Theater, Restaurants und so weiter. Ansonsten Unterhaltung wie Netflix.
Würdest du daher sagen, dass Armut vor allem auch ein soziales Problem ist, da es zu sozialer Isolation führt?
Ja, genau. Zum Beispiel ist es sehr teuer, mit Freunden auszugehen. Ausserdem entsteht ein sozialer Druck, denn man muss sich anständig zurechtzumachen für den Ausgang. Manche Orte kann man ohne entsprechendes Aussehen nicht einmal besuchen. Geld fungiert also als eine soziale Barriere.
Wie wichtig ist dir materieller Besitz?
Sehr – wiederum traurigerweise. Shopping bereitet mir einfach solch grosse Freude. Ich denke, das hat auch mit Marketing zu tun: Man sieht wunderschöne Frauen mit schönem Make-Up und möchte die Dinge kaufen, für die sie werben, um so zu sein wie sie.
Was ist dein wertvollster Besitz?
Wahrscheinlich mein Handy. Ich könnte auch mein Armband wählen, zum Beispiel, weil es auch einen sentimentalen Wert für mich hat und weil es teuer war – aber mein Handy verbindet mich mit der Welt.
Und warum sagst du, dass das traurig ist?
Weil ich denke, dass die Leute heutzutage sehr materialistisch sind. Das ist schlecht in jeder Weise: es ist schlecht für die Umwelt, zum Beispiel. Ich denke, so ist die Gesellschaft, in der wir leben – man sieht alle Dinge auf Social Media und trachtet nach ihnen. Wenn man irgendwo auf dem Land leben würde und sich einfach um seine Hühner kümmern würde, bräuchte man all dies nicht, um glücklich zu sein.
Das Problematische daran, denke ich, ist die Dynamik, die dadurch entsteht: Die Leute wollen mehr und mehr.
Ja, genau. Ausserdem kauft man etwas, an dem man sich zuerst freut. Nach kurzer Zeit aber möchte man bereits etwas Neues – gerade auch wegen Fast Fashion und sich ständig entwickelnder Technologie. Man braucht ständig etwas Neues.
Warum, denkst du, rennen immer alle dem Geld nach?
Ich denke, Geld macht sie glücklicher. Und Leute, die Geld haben, werden mehr geschätzt in einer Gesellschaft, da es suggeriert, dass man eine bessere Stelle hat, vielleicht von einer besseren Familie stammt. Ich denke, die Leute meinen, man sei besser, wenn man mehr Geld hat – deswegen wollen alle immer mehr Geld.
Also Status?
Ja, ich denke, ja.
Denkst du, Geld regiert die Welt?
In gewisser Weise, ja. Zum Beispiel hat man auch mehr Macht, wenn man Geld hat. Man kann sich aus dem Gefängnis freikaufen, und, wie gesagt, Reiche werden mehr geschätzt.
Welche anderen Werte sind dir wichtig?
Freundschaft, Familie, Gesundheit, Freizeit, Zeit für mich selbst und Freiheit.
Was ist dir das Kostbarste im Leben?
Meine Familie und Freunde, und mein Partner – ich möchte nicht alleine sein.
Wenn du in Fortunatus’ Schuhen wärst und zwischen sechs Glücksgütern aussuchen könntest, welches würdest du wählen?
Wenn ich Fortunatus wäre, würde ich Geld aussuchen. Wenn ich hingegen als Anna aussuche, würde ich Schönheit wählen. Ich denke in der heutigen Gesellschaft erhalten attraktive Menschen mehr Möglichkeiten als normale Menschen. Daher würde ich Schönheit wählen.
Was würdest du mit einem Geldsäckel, wie Fortunatus ihn besitzt, anstellen?
Ich würde den Armen Geld geben und viele Dinge für mich kaufen – neue Kleider, ein neues Haus, neues Make-up, zum Coiffeur gehen, einfach materielle Dinge. Aber ich würde Bedürftigen gerne auch Geld geben, die es mehr nötig hätten als ich.
Was ermöglicht Geld?
Vieles! Je nach Entwicklungsstand eines Landes ist dies wahrscheinlich anders. In Finnland ist Bildung beispielsweise kostenlos aber in anderen Ländern muss man dafür bezahlen. Geld macht so ziemlich alles möglich. Wenn man eine Prinzessin im eigenen Schloss sein möchte, kann man sich ein Schloss kaufen und sich den Traum erfüllen.
Gibt es denn etwas, das Geld nicht möglich machen kann?
Wenn man krank ist, kann man sich keine Heilung erkaufen. Geld kann ausserdem keine Freunde kaufen.
Wie reden Finnen über Geld?
In Finnland ist Geld eher ein Tabuthema. Es ist zudem verpönt, seinen Reichtum auszustellen.
Denkst du, das sollte sich ändern? Sollte Geld kein Tabuthema mehr sein?
In gewisser Weise, ja, denn Geld sollte nichts sein, wessen man sich schämen muss. Wenn jemand zum Beispiel weniger verdient. In Finnland schätzen viele Leute eine gute Ausbildung und wenn man beispielsweise einen tieferen Lohn erhält, wird daraus geschlossen, dass jemand faul war oder nicht schlau genug. Dies sollte man ändern, da Geld nicht alles über jemanden aussagt.



Unser persönliches Zauber-Dings
Geld ist also nicht alles. Auch in unserem Leben verhält es sich wie im fiktiven Fortunatus:
Im Fortunatus spielt Reichtum zwar eine zentrale Rolle – aber nicht die einzige. Neben Geld werden Kleinodien ausgetauscht, sprich kostbar angefertigte Schmuckstücke. Auch zwei magische Mittel kommen vor: ein Zauberhütchen, mit dem man sich an jeden gewünschten Ort teleportieren kann, und das nie versiegende Geldsäckel, das stets zehn Geldstücke enthält, so oft man auch hineingreift. Die beiden Objekte sind gleichzeitig wertlos und unermesslich kostbar: Sie sind aus billigem Material und stellen doch für denjenigen, der um ihre Fähigkeiten weiss, einen Schatz dar.
Geldsäckel und Zauberhütchen materialisieren den Traum von Geld in Hülle und Fülle, vom Fliegen und der Fortbewegung ohne physischen und zeitlichen Aufwand. Vielleicht hätte ein Märchen in unserer Zeit eine Fernbedienung, mit der man Konflikte schlichten kann, oder eine Armbanduhr, die mehr Zeit schenkt. Was würden Sie erfinden? Was ist für Sie das Kostbarste im Leben? Ich habe bei meinen Bekannten herumgefragt und die Antworten in einem Video zusammengestellt.
Das Kostbarste der Befragten

Sammeln & Wert
Zum Abschluss meiner Reise besuche ich zwei Leiter von Institutionen, die Gegenstände mit Wert sammeln, aufbewahren und ausstellen. Ich frage sie: Was ist wertvoll?
In der Graphischen Sammlung
Ein paar Farbpigmente, vergilbtes Papier und Überreste eines Bindemittels – daraus besteht ein Gemälde. Materiell betrachtet ist es geradezu wertlos. Und doch geben manche Sammler und Liebhaber Unsummen für Kunst aus – die Magie entsteht schliesslich in der kunstvollen Zusammensetzung dieser Materialien. Um mehr über den Zusammenhang von Wertzuschreibungen und Kunst zu erfahren, habe ich mich mit Dr. Jochen Hesse getroffen. Er ist Kunsthistoriker und Leiter der Graphischen Sammlung und des Fotoarchivs der Zentralbibliothek Zürich. Herr Hesse stellt das kostbarste Stück der Sammlung vor und zeigt die Werke, die für ihn persönlich besonders wertvoll sind.
Interview mit Jochen Hesse
Welche Kunstwerke sind für Sie besonders wertvoll?



Herr Hesse stellt eines seiner Lieblingsobjekte vor:
Dämonen und Teufel kommen aus dem Himmel - sie zeigen, wie Menschen im ausgehenden Mittelalter über Unwetter dachten.
Ein weiteres seiner Lieblingsobjekte stammt von einer Zürcher Künstlerin.
Anna Wasers Flora trägt ihre Besitzergeschichte auf der Rückseite. Sie ist ein weiterer Liebling von Herrn Hesse.
Nach welchen Kriterien schreibt man einem Kunstwerk einen Wert zu?
Der Leiter der Graphischen Sammlung verriet ausserdem, dass in der Gegenwartskunst vor allem der Markt die Preise diktiert - Angebot und Nachfrage regeln den Wert. Und wenn der Nachbar ein Werk von einem bestimmten Künstler hat, braucht man selbst auch eins.
Welchen Wert hat die gesamte Sammlung der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek und des Fotoarchivs?


Im Money Museum
«Sobald ich ein Ausstellungsstück oder ein Buch erstanden habe, setze ich den Preis bei mir im Inventar auf 0», sagt der Gründer und Inhaber des Money Museum, Dr. Jürg Conzett, beiläufig. Das mag erstaunen – sollte nicht das Museum des Geldes genau festhalten, welchen Preis man bezahlt hat und wie hoch der Wert der Sammlung ist? Auf meine Verblüffung hin meint Jürg Conzett, dass alles, was er in seine Ausstellung aufnimmt, für ihn einen persönlichen Wert hat. Geld überlagere lediglich die Kreativität und Imagination. Sobald Zahlen im Spiel seien, fokussiere man darauf. Schon in jungen Jahren habe er sich gefragt: «Wie kann man in einer geldvermittelten Gesellschaft sich selbst sein?» Seine Lösung dafür ist, nach dem eigenen Takt zu tanzen und nicht auf einen Geldgeber angewiesen zu sein. Nur so kann man den eigenen Werten höchste Priorität geben.


In der Geschichte liegt der Wert
Meine Story hat gezeigt: Geld ist in vielerlei Hinsicht überlebenswichtig, die persönlichen Kostbarkeiten hingegen sind oft verknüpft mit einer Geschichte. Erzählungen und Erinnerungen binden uns an Gegenstände und machen sie wertvoll für uns. Das Verhältnis zwischen Geld, das einen überindividuell vergleichbaren Wert festlegen soll, und dem persönlichen Wert, den ein Mensch einem Gegenstand zuschreibt, wirft Fragen auf, denen sich nachzugehen lohnt.
Dank
Mein herzlicher Dank geht an all die lieben Leute in meinem Umfeld, die bereitwillig ihre Ansichten geteilt, Persönliches offenbart und Denkanstösse geliefert haben. Ein weiteres Dankeschön an meine Interviewpartner aus der ZB und dem Money Museum, die mir Tür und Tor geöffnet haben. Ausserdem bedanke ich mich bei meinen geschätzten Kommiliton:innen sowie unserer Dozentin, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen.
Einmal mehr durfte ich erleben, wie wertvoll für mich persönlich der gegenseitige Austausch ist und wie wichtig mir ein soziales Netzwerk ist. Danke!
Referenzen
Busch, Nathanael und Robert Fajen. allmächtig und unfassbar. Geld in der Literatur des Mittelalters. Stuttgart 2021.
Fortunatus. Studienausgabe nach der Editio Princeps von 1509. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bibliographie von Jörg Jungmayr. Stuttgart 1996 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7721).
"Geld." Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Geld>, Zugriff: 19.12.2021.
Bilder
Beimer, Johann Georg: Dominus Johannes Henricus Aescherus Illustris... : Reipublicae Consul pater patriae Electus. [Schweiz?], 1678. Zentralbibliothek Zürich, Beimer, Joh. Georg, ZEI 2.1699.001, https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-65718.
Schultes, Hans: Newe Zeytung auß Ghendt/ in Flandern. Wie es dasellbst ein ganz greüliches vnd erschröckliches/ vngewiter entstanden des gleichen vormals nie erhört wordn [...]. Zu Augspurg : getruckt bey Hanns Schultes, [1586]. Zentralbibliothek Zürich, PAS II 24/7, https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-92104
Waser, Anna: [Flora]. [Schweiz], [zwischen 1690 und 1700]. Zentralbibliothek Zürich, ZEI 1.69, https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-36009.