Literaturtourismus

Gottfried Keller-Touren im Vergleich

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

Eine Stadt feiert! Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der 200. Geburtstag von Gottfried Keller. Er ist ein Weltautor und auch in Zürich eine Berühmtheit, hat er doch den grössten Teil seines Lebens dort verbracht. Spuren aus seinem Leben und seinen Werken lassen sich überall in Zürich finden. Kellers 200. Geburtstag bot Anlass für unterschiedliche Veranstaltungen und Feierlichkeiten. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten entstanden neue Gottfried Keller-Freizeitangebote und -Touren. Kellers Literatur und Lebensgeschichte wurde also an reale Orte gebracht, und seine Werke können auch nach dem Jubiläumsjahr während der Lektüre, aber auch in Stadt und Kanton Zürich erlebt werden.

Die Verbindung von touristischen Angeboten mit Autoren oder literarischen Werken wird oft als Literaturtourismus bezeichnet. Doch was ist überhaupt Literaturtourismus? Welche Konzepte stecken dahinter und wie wurden sie in Zürich 2019 umgesetzt? Ich habe mich auf Spurensuche begeben.

  © Larissa Peter, 2019

Der Begriff des Literaturtourismus beschreibt eine besondere Rezeption von literarischen Texten. Orte, die mit dem Autor oder seinen Werken in Verbindung stehen, werden bereist. Dadurch wird der literarische Text an Orten im realen Raum festgemacht. Die Lesenden erleben den Text nicht mehr in stiller Versenkung, sondern mit der eigenen Vorstellungskraft und allen Sinnen an realen Orten. Literaturtourismus verbindet das Lesen mit dem Reisen und verspricht das Geschriebene physisch erlebbar zu machen. Dieses Phänomen ist keine neue Entwicklung. Schon im 18. Jahrhundert begann man Orte aus der Literatur und natürlich ganz besonders der Weltkulturgeschichte zu bereisen. Über die Jahre wurde diese Art des Reisens kommerzialisiert. Oft erwartet die Reisenden eine Fülle an Angeboten. Diese reichen von einfachen Informationstafeln, über geführte Touren, bis hin zu Shops mit Merchandise-Artikeln. All diese Angebote sollen das Literaturerlebnis der Reisenden verstärken.

Es gibt zwei Arten von Literaturtourismus. Der textbezogene Literarturtourismus legt seinen Fokus auf die Orte und Handlungsräume eines literarischen Textes. Der autorbezogene Zugang konzentriert sich hingegen auf biografische Orte und Orte der Inspiration für den Autor. Ein Beispiel für eine Kombination aus beiden Formen ist der Gottfried Keller-Dichterweg in Glattfelden. Jetzt werde auch ich zur Literaturtouristin und reise in den Geburtsort von Gottfried Kellers Eltern.

Unterwegs auf dem Dichterweg

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

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© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

Als ich zum ersten Mal den historischen Ortskern von Glattfelden betrete, wird mir schnell klar: Glattfelden ist stolz auf seine Verbindung zu Gottfried Keller. Direkt neben der Kirche liegt das Gottfried-Keller-Zentrum mit seinem Café Judith und dem Keller Museum. Tafeln verweisen auf Orte aus Kellers Leben oder zeigen seine Gedichte. Vor dem Keller-Zentrum finde ich einen Routenplan und die Einladung, dass ich mir die neue App herunterzulade. Sie soll das Erlebnis des Weges ergänzen.

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

Der Dichterweg wurde schon 1995 eröffnet und vor kurzem erneuert. Vom Dorfzentrum aus gibt es einerseits den Rundweg über den Weiler Schachen zurück ins Dorf, andererseits führt eine weitere Route von Glattfelden auf den Laubberg, vorbei an den Heidenhöhlen zum Bahnhof Zweideln und weiter nach Kaiserstuhl. Ich entscheide mich für den Rundweg über den Schachen. Ich folge den Wegweisern und komme noch im Dorf selbst an drei Tafeln vorbei, danach führt mich der Weg eine Teerstrasse hinauf auf eine Anhöhe. Ein Trampelpfad führt mich in den Wald. Die Abstände zwischen den Tafeln werden grösser. Auf meiner Route enthalten sie meistens Gedichte von Keller oder Ausschnitte aus dem Grünen Heinrich.

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

Die Kombination aus Natur und Literatur gefällt mir sehr gut, dennoch bin ich nicht davon überzeugt, dass ich so Kellers Literatur erlebe. Ich lese die Gedichte und sehe die beschriebene Landschaft. Es ist ein Ausblick, der sich in der Schweiz wohl auf vielen Anhöhen finden lässt. Auch Kellers Gedichte beschreiben Naturszenen, die nicht unbedingt an Glattfelden gebunden sind. Man könnte sie an vielen anderen Orten platzieren. So erlebe ich auf dem Dichterweg zwar Naturwege, auf denen Keller persönlich gewandert sein dürfte, aber nicht seine Texte.  Dies sieht Konrad Erni, Präsident des Gottfried-Keller-Zentrums allerdings anders:

© Larissa Peter, 2019
© Larissa Peter, 2019
© Larissa Peter, 2019

Er hat sich zu einem Interview über den Dichterweg bereit erklärt. Wir treffen uns im Gottfried-Keller-Zentrum, über einer Tasse Kaffee beantwortete Herr Erni meine Fragen. Wie kam es zur Entstehung des Dichterweges?

Die Route des Dichterwegs wurde bewusst gewählt, es ist die gleiche Route, die Gottfried Keller bei seinen Reisen nach und um Glattfelden ging. Was erlebt die Wanderin, die den Weg heute geht – empfindet sie eine Erfahrung Kellers nach oder versteht sie ein bestimmtes Gedicht tiefer? Ist es nicht widersprüchlich, das Erlebnis der Lektüre an einen realen Ort festzumachen, wo doch poetische Sprache ein innerliches Erlebnis ist? 

Das Konzept des Literaturtourismus sorgt vor allem in literaturwissenschaftlichen Kreisen oft für Stirnrunzeln. Dafür gibt es mehrere Gründe. Literatur, eine hochkulturelle Kunstform, wird mit Tourismus in Verbindung gebracht. Also mit einer populärkulturellen Praxis, welche die Massen ansprechen soll und kommerzialisiert ist. Die Literatur droht ihren Kunststatus zu verlieren.  Als Studentin der Literaturwissenschaft sehe ich die Problematik des Literaturtourismus allerdings vielmehr in der Gefährdung der eigenen Vorstellungskraft. Wenn ich ein Buch aufschlage und zu lesen beginne, bildet sich in meiner Fantasie die beschriebene Umgebung oder Figur ab. Mit jeder Seite schärft sich meine Vorstellung, ich male mir die Szenerie detailgetreuer aus. Literaturtourismus wirkt dem genau entgegen. Werke werden durchforscht, um Referenzen zu Autor und realen Orten zu finden. Das Erlebnis mag ansprechend sein, aber was der Text in mir auslöst, ist etwas anderes als der Besuch eines Geburtshauses einer historischen Persönlichkeit. In der Literaturwissenschaft stehen heute Lesarten im Zentrum, die von den Intentionen des Autors unabhängig sind. Der Literaturtourismus hingegen etabliert Referenzen zwischen dem Text und der Realität. Er fragt nach dem Autor, seinen Lebens- und Schaffensumständen, nach den Realien, die ihn inspiriert haben könnten.

Bei meinem Gespräch mit Konrad Erni kommen wir auch auf die neue App zu sprechen. Ich kenne die Funktionen der App. Die App-Inhalte sind an die jeweiligen Tafeln gelinkt und werden erst freigeschaltet, wenn man in unmittelbarer Nähe ist. Der Inhalt jeder Tafel wird einem von der App vorgelesen. Oder man macht es wie ich und hört sich Kellers Gedichte an, während man schon weiterwandert. So kann man die Schönheit der Natur geniessen und gleichzeitig Kellers Lyrik lauschen. Ausserdem gibt es auf der App weitere Informationen zu den einzelnen Standorten, nicht immer mit Bezug zu Keller. Für eine unerfahrene Wanderin wie mich war der grösste Vorteil der App die Karte mit Ortungsfunktion. Auf der Karte konnte ich immer sehen, wo die nächste Tafel ist und ob sich mein blauer Ortungspunkt noch in die richtige Richtung bewegt. Die App ist eine sinnvolle Ergänzung zum Dichterweg. Am Anfang las ich jede Tafel aufmerksam durch, im Laufe der Wanderung nahm meine Konzentration immer mehr ab. Ohne App wäre ich versucht gewesen, den Tafeln gar keine Beachtung zu schenken.  

Ich möchte von Konrad Erni wissen, wie es zur Ergänzung des Weges mit der App kam:

Mit der BUX App Keller entdecken

© BUX App: www.bux-app.ch

© BUX App: www.bux-app.ch

Ich habe eine andere Gottfried-Keller-App getestet. Die BUX App bietet verschiedene Routen durch Zürich an. Jeder Spaziergang ist einem Schriftsteller gewidmet. Eine der Routen trägt den Titel «Sieben Entdeckungen» und beschäftigt sich mit Gottfried Keller. Der Keller-Spaziergang startet im Wolfbachtobel unterhalb des Dolders und führt durch das Quartier Hottingen hinunter in die Altstadt. Dabei passieren die Spazierenden 7 Orte, welche im Leben von Keller eine Rolle gespielt haben. Im Gegensatz zur Dichterweg-App, hat die BUX App eine digitale Stadtführerin. Diese erzählt den Spazierenden Anekdoten und Fakten zu Keller und seinen Werken. Diese Erzählungen werden zusätzlich durch Audio, Video, Bilder und Textauszüge ergänzt. Wie die Stadtführerin zu Beginn der Tour erzählt, hat Gottfried Keller in seinen Werken fiktionale Gegenstücke zu seiner Realität erschaffen, die auf der Tour entdeckt werden können. Aha, sagte ich mir, das klingt nicht anders als das Konzept in Glattfelden, und mache mich mit Handy und Kopfhörern zum Wolfbachtobel auf. Ich starte die Tour und folge den Anweisungen der digitalen Stadtführerin. Die Tour lässt mir keine Freiheiten für eigene Entscheidungen, anders als der Dichterweg, wo ich die Gedichte anhören konnte, wo und wann es mir passte. Einige der Stopps finde ich nicht besonders interessant und für Keller auch nicht relevant. So wird der Gang durch einen kurzen Tunnel mit Kellers Gedicht Lebendig begraben in Verbindung gebracht – eine ziemlich willkürliche Wahl. Das ist nicht die einzige Station in diesem Stil, wohl auch deshalb wirkte die Tour auf mich oft langatmig. Sehr ansprechend sind aber die medialen Ergänzungen zu, Tonaufnahmen, Bilder und Filme. Sie machen die Tour lebendiger.

© Larissa Peter, 2019
© Larissa Peter, 2019
© Larissa Peter, 2019

© Neue Zürcher Zeitung, 2014

© Neue Zürcher Zeitung, 2014

Die ursprüngliche Route der digitalen Stadtführung stammt von Roman Hess. Herr Hess ist Vorstandsmitglied der Gottfried Keller Gesellschaft Zürich. Bei einem persönlichen Gespräch erzählt er mir von seiner Idee, möglichst alle Örtlichkeiten in der Stadt Zürich mit Bezug zu Keller zu erfassen. Er muss Kellers Werk intensiv erforscht haben, denn aus dem von ihm erarbeiteten Wissen entstand einerseits die Website www.gottfriedkellerzuerich.ch und andererseits die digitale Stadtführung. Für die Realisierung der App arbeitete er mit BUX App zusammen. Wie Herr Hess mir erzählte, haben die Routen von BUX App eine ganz bestimmte Dramaturgie und die von ihm ursprünglich vorgeschlagene Route musste angepasst werden. Er betont, dass nur die Texte zu den sieben Orten von ihm stammen. Die übrigen Texte wurden von BUX App verfasst.

111 Keller-Geschichten

© Kurt Etzensperger, 2018

© Kurt Etzensperger, 2018

Um seine Idee in einer anderen, umfassenderen Weise umzusetzen, beschloss Roman Hess eine Website zu gestalten. Unter www.gottfriedkellerzuerich.ch gibt es 111 Geschichten zu Zürcher Örtlichkeiten, die mit Gottfried Keller in Verbindung stehen. Als ich die Website zum ersten Mal besuche, bin ich fast überwältigt. Ich sehe einen Stadtplan von Zürich vor mir mit unzähligen markierten Orten.

© Roman Hess: www.gottfriedkellerzuerich.ch

© Roman Hess: www.gottfriedkellerzuerich.ch

Ich wusste nicht so recht, was ich damit anfangen sollte. Doch schon bald realisierte ich, was die Website eigentlich bietet. Klickt man einen Punkt auf der Karte an, erscheint die dazugehörige Geschichte. Sinn der Website ist es nicht alle 111 Geschichten nacheinander zu lesen. Vielmehr kann man diese mit Suchoptionen, wie Personen, Werke, Themen und Routen immer wieder neu kombinieren.

© Roman Hess: www.gottfriedkellerzuerich.ch

© Roman Hess: www.gottfriedkellerzuerich.ch

So kann man sich virtuell eine Route zusammenstellen, die ganz dem eigenen Interesse entspricht.

Im Gegensatz zur digitalen Stadtführung oder dem Dichterweg müssen die Besuchenden der Website keiner vorgegebenen Route folgen. Sie können an jedem Standort in der Stadt nachschauen, wo sich die nächstgelegenen Keller-Orte befinden. Diese können sie nach Lust und Laune kombinieren. Gerade darin sieht Roman Hess den Vorteil des Mediums. Die Besuchenden werden nicht wie bei einem Buch von Seite zu Seite geleitet, sondern sie können sich die Geschichten selbst zusammenstellen. Sie können frei über Länge, Ort und Thema der Tour entscheiden.  

Nach Einstiegsschwierigkeiten bin ich begeistert von der Website. Ich kann es kaum fassen, wie viele Orte mit Bezug zu Keller es in Zürich gibt. Immer wieder neue Geschichten entdecke ich und die Zeit vergeht wie im Flug.

Ich war 2019 dreimal als Literaturtouristin unterwegs, im Jubiläumsjahr zu Gottfried Kellers 200. Geburtstag immer in Stadt und Kanton Zürich. Jeder Ausflug war auf seine ganz eigene Art ein Erlebnis für mich. Was aber ist ein Erlebnis?

Der Ausdruck Erlebnis leitet sich ursprünglich von Leben ab. Es bedeutet, dass jemand ein Geschehnis durchlebt und dabei einen bleibenden Eindruck gewinnt, positiv oder auch negativ und jedenfalls im Gegensatz zum Alltagserleben. Dadurch ist ein Erlebnis auch immer sehr subjektiv, denn was für die einen Alltag ist, ist für die Anderen ein aussergewöhnliches Ereignis. Da ein Erlebnis an das emotionale Empfinden gebunden ist und sich durch seine Einzigartigkeit auszeichnet, kann es nicht beliebig wiederholt werden. Wer ein und dieselbe Keller-Tour mehrmals macht, wird diese nicht mehr als Erlebnis wahrnehmen. Der Literaturtourismus macht sich das Ausseralltägliche und Einmalige zu Nutzen. Er verbindet die Literatur mit einer Aktivität, Wandern, Reisen, eine Umgebung erforschen, neue Informationen zu Autor und Werk in Erfahrung bringen. Bietet einen anderen Zugang und Blickwinkel auf ein geliebtes literarisches Werk und transportiert die Lesenden aus den Buchseiten in die reale Welt. Kombiniert also das Leseerlebnis mit einem nicht alltäglichen Ausflug. Zumindest in dieser Hinsicht bietet der Literaturtourismus ein Erlebnis. Doch welche Rolle spielt dabei die Literatur?

Die Literatur setzt die Thematik der Angebote und Touren. Sie steht in enger Verbindung mit den touristischen Angeboten und bestimmt auch deren Lokalität.  Denn eine Verbindung zwischen Werk oder Autor und Ort ist eine Grundvoraussetzung. Danach ist es den Organisatorinnen überlassen, wie stark sie den Fokus auf die Literatur legen. Sollen tatsächlich literarische Texte übermittelt werden, wie zum Beispiel auf dem Glattfelder Dichterweg? Oder soll ein Autor erinnert und geehrt werden, wie an der Keller-Feier in Glattfelden (und an vielen andern Orten in Stadt und Kanton Zürich)? Möchte ich in erster Linie Literatur vermitteln oder eine Ausflugsmöglichkeit bieten? Die Touren sind unterschiedlich, aber eines ist allen gemeinsam. Literatur wird in Form von Zitaten vermittelt, die Lektüre einer ganzen Novelle oder eines ganzen Romans bleibt exklusiv den Lesenden vorbehalten.

Wanderungen wie der Glattfelder Dichterweg oder die BUX App Tour scheinen nicht nur für Keller-Fans interessant zu sein. Sie setzen nicht voraus, dass man mit Kellers Werken vertraut ist, sondern gewähren Einblick in seine Werke und regen vielleicht den Einen oder Anderen dazu an, Keller erneut oder zum ersten Mal zu lesen.

Ein Dorffest zu Kellers Ehren

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

Ein letztes Mal war ich Literaturtouristin und das war jetzt ein ganz anderes, vergleichsweise klassisches Erlebnis.  In Glattfelden wurde ein Dorffest zu Ehren Gottfried Kellers veranstaltet. Anlass war der 200-jährige Geburtstag des Dichters. Drei Tage lang wurde in Glattfelden gefeiert. Die Angebote waren vielfältig. Im Mittelpunkt stand die Würdigungsfeier zum 200. Geburtstag von Gottfried Keller. In verschieden Beiträgen wurde Keller erinnert, über seine Werke sinniert und deren Aktualität diskutiert. Die Zürcher Regierungspräsidentin Carmen Walker Späh richtete Geburtstagsglückwünsche an Keller und nahm in Ihrer Grussbotschaft Bezug auf Kellers Novelle Kleider machen Leute. Diese sei auch heute noch zutreffend. Der Protagonist Schneider Wenzel würde heute einen Hugo-Boss-Anzug tragen und viele Follower haben. Nach ihr ergriff Konrad Erni das Wort, erhellte Kellers Verbindung zu Glattfelden mit Bezug auf einen Schulferienaufsatz von Keller. Der Höhepunkt war die Festrede: Keller sprach über Keller.  Prof. Dr. Hildegard Keller lenkte die Aufmerksamkeit auf Kellers Werk. Auf sehr humorvolle Weise teilte sie mit den Zuschauern ihre Gedanken zu  Kellers Pankraz, der Schmoller. Mit Ihrem Vortrag möchte Sie den Appetit der Anwesenden auf Kellers Werke wecken, denn «man soll Gottfried Keller feiern, […] aber vor allem soll man ihn lesen.»

Wer Interesse hatte, konnte Kellers Werke auch an der Feier lesen. An einem Bücherstand konnte man seine Werke erwerben. Wer nicht lesen wollte, konnte Novellen von Keller im «Vorlesbüdlein» hören. Begleitet wurde die Würdigungsfeiern von vielen weiteren Angeboten. «Ein Dorffest, wie es Gottfried Keller wohl geliebt hätte» schrieb der Zürcher Unterländer. Die Gassen des Glattfelder Dorfkerns waren gesäumt mit unterschiedlichen Essensständen, Bars und den üblichen Festspielen für Kinder. Für jeden war etwas dabei. Das Theater Zürich führte auf dem Schulpausenhof Kleider machen Leute auf und im ganzen Dorf herrschte ausgelassene Stimmung.

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

Lasse ich nun alle Angebote nochmals Revue passieren, ist die Webseite von Roman Hess mein Favorit. Dass ich als Userin die Geschichten immer wieder neu kombinieren kann, nach Lust und Laune und ganz meinem Wissensstand entsprechend, fasziniert mich. Ausserdem ist die Webseite eine Fundgrube an Informationen, nicht nur zu Gottfried Keller, sondern auch zu historischen Fakten über Zürich. Ich entdeckte Kellers Verbindung zu Zürich ganz neu, aber auch meine Heimatstadt selbst. Gebäude, denen ich im Alltag kaum Beachtung geschenkt habe, haben jetzt eine (Keller-)Geschichte. Das schönste und erholsamste Erlebnis war für mich der Dichterweg in Glattfelden im Grünen.

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

Die gewählte Route durch das Zürcher Unterland war sehr idyllisch und die Kombination mit Kellers Gedichten gab mir ein Gefühl der Naturverbundenheit. Den grössten Erlebnischarakter hatte das Dorffest. Es war ein Spektakel, es gab viel zu sehen, viel zu entdecken und die ausgelassene Stimmung der Besuchenden schwappte auch auf mich über. Ein Fest, das mir sicher noch lange in Erinnerung bleiben wird.

© Larissa Peter, 2019

© Larissa Peter, 2019

Für mich wird das eigentliche Literaturerlebnis aber immer in der Lektüre stecken. Es liegt darin dem Alltag zu entfliehen und in eine andere Welt einzutauchen. Es liegt in den unbegrenzten Möglichkeiten der eigenen Fantasie.

Die Menge an literaturtouristischen Angeboten zeigt, wie populär diese Annäherung an Literatur und Geschichte ist. Offenbar empfinden sie viele nicht als Bedrohung der eigenen Fantasie, sondern als Belebung und Anregung – sogar für die eigene Lektüre. So verbindet sich ein Freizeitausflug mit kulturellen oder historischen Interessen, und man sieht, was ein Lieblingsautor einst gesehen haben dürfte, mit eigenen Augen.

Kann auf diese Weise auch Literatur gefördert werden? Kann das Andenken an Dichter wie Gottfried Keller dadurch verlebendigt werden? Haben 2019 wieder mehr Zürcherinnen den Martin Salander oder Die missbrauchten Liebesbriefe gelesen? Schwer zu sagen. Sicher ist: Wer Gottfried Keller schon vor dem Fest nicht gelesen hat, wird es wohl auch nachher nicht tun. Dennoch erhielt Keller in diesem Jahr eine so grosse Aufmerksamkeit wie schon lange nicht mehr. Durch die vielen Angebote zu seinen Werken und seiner Person rückte er in den Fokus von Jung und Alt und vielleicht verleiteten die Angebote doch den einen oder anderen zur Lektüre. Denn ich stimme Prof. Dr. Hildegard Keller zu: «Man soll Gottfried Keller feiern, man darf und soll ihn auch feiern, aber vor allem muss man ihn lesen».

Danksagung

Dieser Beitrag entstand im Seminar «Gottfried Keller und das Mittelalter» im Frühjahrssemester 2019 an der Universität Zürich. Betreut wurde das Projekt von Prof. Dr. Hildegard Keller. Ich möchte ihr für Ihre Unterstützung und Hilfe danken. Ebenfalls bedanke ich mich bei meiner Tandem-Partnerin Valerie, die immer ein aufmunterndes Wort für mich bereit hatte. Konrad Erni und Roman Hess danke ich herzlich für ihre Bereitschaft, ihr Wissen mit mir zu teilen.

Quellen

DWDS: Das Erlebnis. https://www.dwds.de/wb/Erlebnis(abgerufen am: 15.06.2019).

Hafner Dackerman, Ruth: Ein Dorffest, wie es Gottfried Keller wohl geliebt hätte. In: Zürcher Unterländer, 20.05.2019, S. 6.

Knipp, Raphaela: Begehbare Literatur: Eine literarur- und kulturwissenschaftliche Studie zum Literaturtourismus. Heidelberg 2017.

Watson, Nicola J.: The Literary Tourist. Readers and Places in Romantic & Victorian Britain. Hampshire 2006.

Abbildung

Abbildung Roman Hess. NZZ Online, 2014. https://www.nzz.ch/zuerich/zuercher_kultur/oberster-literaturfoerderer-zieht-bilanz-1.18384150 (abgerufen am: 02.07.2019).