Gesund/Krank

Dritter Teil

Zauberspruch

Merseburg, Domstiftsbibl., Cod. 136, fol. 85r

Merseburg, Domstiftsbibl., Cod. 136, fol. 85r

Wenn die Luft wegbleibt

von Patrick Fischer

«Stell dir vor, du müsstest durch einen langen Gartenschlauch atmen! Der Brustkorb wird zum Gefängnis, nervöses Pochen erfüllt Kopf und Hals und unter unregelmässigem, pfeifendem Husten zucken weisse Blitze durchs Gesichtsfeld, obwohl die Augen geschlossen sind.»

Solche Asthmaanfälle überfallen mich heute zum Glück nur noch selten, wenn ich beim Essen nicht aufpasse, mich verschlucke und oder auf andere Weise unglücklich ausser Atem gerate. «Husten – wir haben ein Problem», kalauere ich jeweils, wenn ich - Ventolin sei Dank! - wieder Luft bekomme. Erschöpft zwar, aber glücklich, dass das Ganze wieder mal vorüber ist.

Die traumatischen Kindheitserinnerungen sind noch da. Sie drängen sich in den Vordergrund, wenn ich mit mir hadere. Machen sich selbst breit und mich beklommen. Leistungsasthma ist genetisch bedingt. Es ist mein Begleiter geworden. Um uns herum neigt alles zu Atemlosigkeit und hält sich dennoch für kerngesund. In mir geben sich Gesund- und Krankheit die Hand. Aber nicht wie Freunde, eher wie ein altes, streitendes Ehepaar, das unerwartet langen Atem beweist...

Video: «Was geschieht bei einem Asthmaanfall?»

Weinnachten. Jana allein zu Haus.

von Jana Manferdini

In unseren westlichen Kulturkreisen dominiert ein einheitliches Narrativ die Weihnachtszeit, das gleich nach Halloween von allen denkbaren Medien aufgenommen und reproduziert wird.

Vom Migros-Regal über das TV-Programm und die angepasste Google-Suche schreit es in die Welt hinaus:

FAMILIE – BEISAMMENSEIN – ZUFRIEDENHEIT!

Sämtliche Diskurse werden vom Konzept ‘Weihnachten’ infiltriert. Wenn jemensch im Dezember krank wird, fragen alle nur:

Wird denn der Roland denn an Weihnachten wieder gesund sein?

Andreas Avgousti auf unsplash.

Andreas Avgousti auf unsplash.

Das gilt auch in meiner Familie. Die Abläufe sind in Stein gemeisselt, alle wissen, wie man sich vorbereitet und beteiligt. Sich hiervon zurückzuziehen steht ausser Frage.

Aber der Gipfel des Christbaums ist, dass ich als Scheidungskind mit allen Familienfragmenten diesen Zirkus VIER MAL mitmachen muss. Als wäre die konsumgesteuerte Weihnachtzeit nicht schon genug stressig.

Dezember 2021; das zweite Jahr der Pandemie. Wir sind noch immer rücksichtsvoll und vorsichtig. Aus diesen Gründen mache ich, mit einem leichten Schnupfen doch nichts Böses ahnend, vor dem ersten Fest einen Test, der dann tatsächlich positiv ausfällt. Aber der anfängliche Schock weicht der Einsicht, dass ich Weihnachten dieses Jahr einfach aussetzen kann.

Ich will damit niemanden persönlich treffen. Mir ist bewusst, dass wir durch diese Pandemie geliebte Menschen verloren haben und die Spätfolgen tragen – so auch ich. Doch diese Geschichte handelt von unerwarteter Zufriedenheit in einem Moment der Krankheit.

Und so musste ich also zehn Tage in Isolation verbringen und alle vier Feste wurden ohne mich gefeiert. Auch wenn ich bedauerte, dass meine Familie deswegen besorgt und traurig war, fand ich in mir doch eine Zufriedenheit und eine Entschleunigung, die ich an Weihnachten sonst nicht kannte. Ich war mit mir allein. An Heiligabend rief mich meine Mutter kurz auf Facetime an, doch danach konnte ich den Abend so verbringen, wie ich mir das wünschte: ohne den Stress, die Streitereien und Erwartungen, sondern stattdessen mit einem süssen Wein, einer Portion frischer Pasta und Pride and Prejudice.

Mein kleiner Covid-Doktor

von Medea Schneider

https://pixabay.com/de/photos/natur-nebel-reisen-neblig-dunst-3787200/

Bild von James Wheeler auf Pixabay

Bild von James Wheeler auf Pixabay

Spätsommer 2020. Die Sommerhitze hat bereits begonnen, ihren drückenden Charakter zu verlieren; das Sonnenlicht hat einen goldenen Schimmer bekommen und eine Vorahnung der kommenden Winterkälte ist im immer noch lauen Wind zu spüren. Die Blätter haben ihre satte grüne Farbe noch nicht verloren, und dennoch atmen die Bäume bereits den nahenden Herbst. Der erste Lockdown an der ETH-Bibliothek ist vorüber, doch wir Angestellten sind im festen Griff des Sicherheitskonzepts. Für uns studentische MitarbeiterInnen ist Homeoffice unmöglich. Wir scannen alte Bücher und Zeitschriften an menschengrossen Maschinen. Eigentlich gespenstisch genug, doch nun arbeiten wir in drei Schichten, neu auch in Abendschichten.

Alles, wirklich alles muss desinfiziert werden. Die Klimaanlage darf nicht laufen, drückende Hitze und ich schwitze unter der Maske. Wir begrüssen die Massnamen. Noch weiss man wenig über diese Pandemie. Anstecken will sich niemand. An einem Samstag war ich beim Joggen kurzatmig und danach total abgeschlagen, im Hals kratzte es, ich musste husten. Da erschrak ich, sagte sicherheitshalber ein Treffen mit zwei Freundinnen ab und legte mich ins Bett. Doch auch am Montag danach hat sich mein Zustand nicht gebessert – im Gegenteil – denn jetzt habe ich auch noch Fieber. Zerknirscht melde ich mich krank. Um den Covidtest kommst du jetzt nicht mehr herum! Sollte dieser Test positiv ausfallen, wäre ich die Erste bei uns auf der Arbeit, die Covid hat. Irgendwie ist mir dieser Gedanke unangenehm…

Genervt stelle ich fest, dass ich den Test nicht bei meinem Hausarzt machen kann. Das wäre einfach zu weit. Etwas ratlos und gestresst rufe ich also beim BAG an. Erleichterung durchflutet mich, als mir die freundlich-kompetente Dame am anderen Ende der Leitung erklärt, dass es auch in meiner Umgebung diverse Möglichkeiten für einen Test gibt. Ich entschliesse mich also, diesen in einer Walk-in Praxis in meiner «Nähe» zu machen. «Nähe» – denn insgesamt dauert der Fussmarsch (dahin dennoch) eine halbe Stunde. Mit Fieber, wohlgemerkt! Nach einer gefühlten Ewigkeit im Wartezimmer ist die Reihe dann an mir. Sicherlich gibt es Angenehmeres als so ein Stäbchen in der Nase. Aber nach wenigen Sekunden und einer verkniffenen Träne ist alles vorbei. Nun heisst es warten – auf das Testergebnis…

Und dieses fällt dann leider auch positiv aus! Noch bevor das BAG sich wieder bei mir meldet, habe ich schon die Personen in meinem engsten Umfeld verständigt. Obwohl ich jetzt lieber einfach schlafen würde, hänge ich gefühlte Ewigkeiten mit verschiedenen Leuten am Telefon. Die Aufregung ist gross. Etliche von ihnen müssen ebenfalls in Quarantäne! Die Reaktionen meines Umfelds fallen daher sehr unterschiedlich aus. Von freundlich-hilfsbereit, über besorgt, genervt, trotzig bis wütend-ängstlich ist fast alles einmal dabei. Mich plagen jetzt erst recht Schuldgefühle. Und ich kann mir einfach nicht erklären, wo ich mich angesteckt habe! Glücklicherweise hat sich aber fast niemand bei mir angesteckt. Nur mein Partner hat ein leichtes Kratzen im Hals.

Nach ungefähr anderthalb Wochen ist der Spuk vorbei. Als Aufmunterung bestellen wir uns ein spezielles «Plüschtier». Dieses wurde von einer New Yorker Plüschtierfirma extra wegen der Pandemie designt. Es kamen wohl bei vielen Leuten Fragen auf, wie die Menschen in früheren Jahrhunderten mit Seuchen umgegangen sind. So wurden nicht nur Vergleiche mit dem Ausbruch der Spanischen Grippe gezogen, sondern eben auch mit den wiederkehrenden Pestepidemien des (ausgehenden) Mittelalters. Das «Plüschtier» ist daher ein kleiner Pestdoktor! 

Ende

Foto von Medea Schneider

Foto von Medea Schneider