Frisch auf den Tisch
Wie Literatur auf den Teller springt
Wie landet eine Autorin auf dem Teller und wie eine gute Geschichte im Kopf? Hildegard Keller und Christof Burkard zeigen, wie Literatur frisch bleiben und unser Leben bereichern kann. Das ultimative Rezept für Maulhelden.
Werfen wir einen Blick ins Buch, stellen wir uns an den Herd!
Auf 144 Seiten stellt Keller Leibdichterinnen und Lieblingsautoren vor. Über viele von ihnen ist viel, sehr viel geschrieben worden, aber Kellers Perspektive auf die Autorinnen und Autoren ist erfrischend (Ingeborg Bachmann als erste Vielfliegerin der deutschsprachigen Literatur, Walter Benjamin als Autor eines Kasperle-Hörspiels). Keller nimmt Bezug auf einen oder mehrere Texte, manchmal auch das Gesamtwerk (Rosa Luxemburg und die Verteilung des Kuchens!). Wer Lust aufs Weiterlesen bekommt, findet hinten im Buch Lektüretipps.
Auch der kongeniale Literaturkoch Burkard sucht seine eigene Lesart, am Herd und am Backofen. Er wurde von den Zürcher Studierenden als Koch ausgezeichnet, aber das war lange vor meiner Zeit. Burkard kreiert ein Rezept für jede Autorin (Ingeborg Bachmann, Hannah Arendt), zum Leben in Zürich (Rosa Luxemburg), zu ihrem Auftritt unter Intellektuellen und Künstlern in Buenos Aires (Alfonsina Storni) oder zu einem spezifischen Text eines Autors (Robert Walser, Max Frisch, Gottfried Keller, Herman Melville, Friedrich Glauser). Ganz existenziell kommt die «Omelette surprise» für Walter Benjamin daher.
Das Autoren-Duo nennt sich «Die Maulhelden», wenn sie an Festivals oder Lesungen auftreten. Im letzten Teil des Buchs führen sie ein Gespräch miteinander, auf Farbseiten im sanften Orangeton der Rezeptseiten. Sie reden über das, was denen geschieht, die dem Maulheldentum verfallen. Sie zeigen ihre Talente. (Keller hat die Farbstiftporträts im Buch gezeichnet.)
Ich wollte es wissen. Habe mich durch die Essays gelesen und durch die zwölf Rezepte gekocht und gegessen - bis auf eine einzige Ausnahme – auf Robert Walsers «Wurst» habe ich verzichtet. Aber für Vegetarier gibt es erstaunlich viel zu geniessen in diesem Buch. Der Wurst-Aficionado Burkard hat viele Rezepte kreiert, die fleischlos sind oder optional fleischlos zubereitet werden können.
Und für wen springt nun der Hecht auf den Teller?
Natürlich für Hildegard von Bingen. Vielleicht, weil Hildegard den Raubfisch mochte, oder weil er ebenso viel Unruhe in den Teich bringt, wie es die talentierte Äbtissin in ihren Nonnenklöstern am Rhein tat. Hildegard von Bingen ist die älteste unter den elf Porträtierten und eigentlich die einzige, die man in einem Kochbuch erwarten würde. Heute ist sie als Wellness- und Food-Expertin etabliert, ob zu Recht oder nicht, sei hier dahingestellt. Die Hechtklösschen sind lecker geworden, und Burkards Gartipp finde ich cool.
In Gottes Namen diktierte Hildegard Schandbriefe an Päpste und wurde so zum Hecht im Teich der fetten Kirchenkarpfen.
Ein echter Maulheld spielt, ob das nun in der marokkanischen Wüste, auf Nantucket oder in Zürich ist, ob mit einem Buch auf dem Sofa oder in der Küche oder am Zeichentisch.