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Der Wappenfries der Brunngasse 8

Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich

Foto: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich

Die Entstehung von Wappen

Im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts wurden Ritter durch ihre Rüstungen unkenntlich gemacht. Aus diesem Grund suchten sie nach Unterscheidungsmerkmalen, die ihnen die Wappen liefern konnten. Fortan dienten Wappen als Repräsentationszeichen. Ihren Wert als Ordnungs- und Erkennungszeichen und damit ihre Verbreitung steigerte sich während den Kreuzzügen. Ihre Form verdanken sie ihrer ursprünglichen Abbildung auf Schilden.

In der Schweiz und in den umliegenden Ländern wählte der Adel seine Wappen selbst. Ihnen folgend nahmen sich auch kirchliche Institutionen und nach Autonomie strebende Zünfte, Städte und Länderorte ihre Wappen. Die abgebildeten Heroldsbilder bestanden aus farblichen Teilungen des Schildes sowie Figuren. Besonders beliebt waren Tiere, Pflanzen, Fabelwesen und Artefakte.

Am Ende des 12. Jahrhunderts unterhielten Adlige und Fürsten Diener, die bei Turnieren einzugreifen hatten und deshalb die Wappen der teilnehmenden Parteien kennen mussten. Aus diesem Grund legten sie Wappenregister an.

In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand die wichtigste mittelalterliche Wappensammlung: Die Zürcher Wappenrolle. Sie entstand um 1340 in Konstanz, St. Gallen oder Pfäfers. Überliefert sind drei der ursprünglich vier zusammengenähten Pergamentstreifen. Auf den vier Metern Länge und ca. 12,5cm Breite sind insgesamt 559 Wappen des hohen und niederen Adels, vorwiegend aus dem süddeutschen Reich, sowie 28 Banner deutscher Bistümer abgebildet. Einer der ursprünglichen vier Streifen ging verloren, die darauf abgebildeten 108 Wappen sind aber in Kopien überliefert. Diese Wappensammlung ermöglichte die Identifizierung von Wappen vieler Geschlechter. Dies ist besonders hilfreich, da es üblich wurde, die bei festlichen Anlässen aufgehängten Wappenschilde der Gäste direkt dekorativ an Decken und Wänden malerisch in Wappenfriesen zu verewigen.

https://www.e-codices.unifr.ch/de/snm/AG002760/snm-AG002760_001r/0/Sequence-1330

© Schweizerisches Nationalmuseum, Foto: Jasmin Frei

© Schweizerisches Nationalmuseum, Foto: Jasmin Frei

Der Wappenfries

Eine regelrechte Mode-Erscheinung der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts bestand darin, sich die Wappen des Adels ins eigene Wohnzimmer zu holen: In einem Wappenfries thronten sie glorreich auf den eigenen Wänden. 

Solche Wappenfriese sind aus zahlreichen Zürcher Wohnräumen wie auch im restlichen Bodenseegebiet mehrfach belegt. In Bauten der Oberschicht sind die prächtigen Wandgemälde zu meist drei- oder vierzonig unterteilt, worin Ornamente, Wappenfriese und szenische Darstellungen die Szenerie vervollkommnen.

Ein Wappenfries im eigenen Haus dient als symbolischer Verweis auf den Adel als soziale Gruppe. Somit drücken die Auftraggeber durch die Wappenabbildung des Adels ihre Beziehung zu den vornehmen höfischen Geschlechtern aus.

Die elitären Wandmalereien richten sich an eine bestimmte Gesellschaftsgruppe: Die Adeligen sowie die einflussreichen bürgerlichen Familien. In diesem Sinne wirken die Wandmalereien als identitätsstiftendes Statussymbol.

Ein besonders eindrückliches Beispiel bietet das Haus „Zur Zinn“ in Diessenhofen. Die vollständig ausgemalten Wände tragen zuoberst einen Wappenfries. Dieser bildet die Schildwappen der Adelsgeschlechter der Umgebung ab, die vermutlich diesen Saal als Trinkstube nutzten. Die Wappen lassen zwar weder Rückschlüsse auf den Auftraggeber der Malereien noch auf die exakte Entstehungszeit zu, der Stil zeigt jedoch Ähnlichkeiten mit den Werken des Grundstockmalers der Manessischen Liederhandschrift. Folglich wird die Ausmalung in die 1330er Jahre datiert. Da die Wappenfolge lediglich unvollständig erhalten blieb, werden die Auswahlkriterien der abgebildeten Wappen nicht deutlich ersichtlich.

Ein weiterer bemerkenswerter Wappenfries ziert das Haus „Zum Loch“ in Zürich. Der Besitzer Ritter Wisso liess 1306 zu Ehren eines Besuches von König Albrecht die Ausmalung der Balkendecke in Auftrag geben. Dieses sowohl älteste als auch bedeutendste Beispiel eines Wappenfrieses besteht aus 180 Wappenschilden verteilt auf neun Deckenbalken.

Weitere Wand- und Deckenmalereien mit Wappenfriesen in Zürich aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts finden sich in den Häusern „Zum langen Keller“ und „Zur Hohen Eich“. Bescheidenere Häuser mit schlichterem Wandschmuck weisen oft keine oder nur einige wenige Wappenschilde auf.

Das Haus „Zum Brunnenhof“ in der Brunngasse 8 in Zürich zeigt eine vierzonige Bemalung inklusive Wappenfries auf drei Wänden eines grossen Saales. Dies verweist auf den hohen Repräsentationsanspruch der Auftraggeber.

Die Besonderheit der
Brunngasse 8

Die Wandmalereien der Brunngasse 8 sind unterteilt in vier Zonen: Zuoberst der Deckenfries, danach die Wappen- und Bildzone und zuunterst die Sockeldraperie. Die nach zeitgenössischen Verhältnissen darstellungsreiche, teure Ausmalung des Saales bietet einen hohen kulturellen Informationsgehalt.

Es ist aber nicht das, was den Wappenfries der Brunngasse 8 so besonders macht, sondern seine Auftraggeber.

Die jüdischen Besitzer des Hauses gaben die Wandgemälde in den 1330er Jahren in Auftrag. Die abgebildeten Wappen verfügen allesamt über eine Unterschrift in hebräischer Schrift, die jeweils den Namen des im Wappenschild abgebildeten Geschlechtes nennt. Dadurch kann die Entstehungszeit des Wappenfrieses und damit der gesamten Ausmalung unter jüdischem Auftrag bestätigt werden.

Die jüdischen Bewohner des Hauses pflegten folglich kein strenges Bilderverbot. Dies ist allerdings nicht weiter verwunderlich, denn Handschriften belegen eine allgemein bilderfreundliche Strömung im mittelalterlichen Judentum.

Jüdische Elemente der Wandmalereien sind lediglich die Wappenunterschriften, die dargestellten Bildszenen stammen allesamt aus der christlichen Kultur. Im 32cm hohen Wappenfries sieht es nicht anders aus.

Der Wappenfries dient als symbolischer Verweis auf den Adel. Die Abbildung ihrer Wappenschilde drückt die Beziehung der Auftraggeber zu den vornehmen höfischen Geschlechtern aus. Durch die Brunngasse 8 wird deutlich, dass zumindest ein Teil der jüdischen Führungsschicht sich mit der allgemeinen zeitgenössischen Kultur auseinandergesetzt hat.

Die hier dargestellten Wappen umfassen grösstenteils die südwestdeutschen Adelsgeschlechter, aber auch weiter entfernte Mitglieder des Adels wie zum Beispiel die Grafen von Luxemburg oder die Erzbischöfe von Mainz.

Die Wappenfolge ist heute leider nur unvollständig erhalten, weshalb die Auswahlkriterien für die repräsentierten Adelsgeschlechter nicht deutlich ersichtlich werden. Sie zeigt aber das hohe gesellschaftliche Niveau der Geschäftsbeziehungen der jüdischen Familie, die sie durch den Wappenfries zum Ausdruck brachten. Vermutlich standen sie mit vielen der Abgebildeten in direkten Geschäftsbeziehungen. Die geographische Zuordnung der einzelnen Wappen und ihren Geschlechtern ist jedoch nicht immer einfach, da sich der geographische Schwerpunkt eines Geschlechtes auch sehr schnell ändern kann. Dies führt zu einer Unklarheit mit welchem Vertreter der jeweiligen Familie die jüdischen Hausbesitzer genau in Kontakt standen, was nur Vermutungen zulässt.

Die reichhaltige Ausmalung, sowie der heute nur noch zu erahnende ursprüngliche Farbenreichtum der Wandgemälde zeigen jedoch deutlich den hohen Repräsentationsanspruch der jüdischen Familie.

Anordnung und Bedeutung des Wappenfrieses

Die heraldisch nach rechts geneigten Wappen sind in regelmässigen Abständen angeordnet. 

Die Reihenfolge der abgebildeten Wappenschilde folgt dabei einer üblichen, ständisch geordneten Hierarchie: Die Grafen finden sich an der Ostwand und der Nordhälfte der Westwand, wohingegen die Freiherren die Südhälfte der Westwand einnehmen. Der niedere Dienstadel, wovon auch der Zürcher Stadtadel ein Teil war, könnte womöglich an heute zerstörten Stellen abgebildet gewesen sein.

Unter jedem freigelegten Wappen findet sich, sofern die Stelle noch erhalten ist, ein schmaler Streifen mit einer Unterschrift, der den Namen der dargestellten Adelsgeschlechter wiedergibt. Diese sind zwar auf mittelhochdeutsch, aber in einer hebräischen Alltagsschrift verfasst. Diese wenig sorgfältige Anschrift war eine arbeitstechnische Massnahme zur Gedächtnisstützte ohne repräsentative Funktion. Es bedeutet aber nicht unbedingt, dass auch der Maler jüdischer Herkunft war.

Im Gegensatz thront über sieben nebeneinanderliegenden Wappen auf der Westwand zusätzlich eine kalligraphische Beschriftung mit gotischen Majuskeln. Diese waren auch für Nichtjuden lesbar. Dies und die kunstvolle Schrift deuten darauf hin, dass diese Beschriftung an den Betrachter gerichtet war und einen repräsentativen Charakter besass, wie es üblich ist bei Wappenüberschriften. Die Gründe, weshalb diese sieben Wappen in solcher Art hervorgehoben wurden, sind unklar. Vermutlich handelte es sich aber dabei um diejenigen Adelsgeschlechter, die den Auftraggebern am wichtigsten waren – im geschäftlichen oder repräsentativen Sinn.

Die Schrift wurde gleichzeitig mit der Vorzeichnung der Wappenumrisse angebracht und gehört somit zum Originalbestand der Malerei. Eine Analyse der Malschichtstratigraphie konnte dies beweisen und gab auch Auskunft darüber, dass alle Wappen zur gleichen Zeit ihren Weg auf die Wand fanden. Die jüdische Familie hat folglich nicht im Nachhinein neue Geschäftspartner hinzugefügt.

Doch wer wurde denn nun überhaupt abgebildet?

Die Grafen von Luxemburg

Die Grafen von Luxemburg gehörten zu den einflussreichsten Geschlechtern des deutschen Reiches. Die Abbildung ihres Wappenschildes in der Brunngasse 8 könnte zu Ehren dreier möglicher Familienmitglieder dieses Geschlechtes angebracht worden sein:

Heinrich VII. von Luxemburg (1278-1313): Als deutscher König schaffte er sich einen Namen durch seinen berühmten Zug nach Rom, um sich dort zum Kaiser krönen zu lassen. Könnten die jüdischen Bewohner die Absicht verfolgt haben, durch die Wappenrepräsentation die Erinnerung an diesen Romzug zu bewahren? Wild und Böhmer (1997) halten dies allerdings für eher unwahrscheinlich.

Balduin von Luxemburg (1285-1354): Als Bruder von Heinrich dem VII. war er als Kurfürst und Erzbischof von Trier tätig und zudem Provisor in den Bistümern Mainz, Worms und Speyer. Damit war er einer der bedeutendsten Staatsmänner im damaligen Deutschen Reich. Er setzte Juden an hohen Stellen in Politik und Verwaltung ein, die weiträumige Beziehungen pflegten, um den Kreditbedarf zu decken. Aus Frankfurt am Main sind die Namen vieler Zürcher Juden bekannt und auch der Brunngasse 8 Bewohner Gumprecht ben Menachem hielt sich möglicherweise in den 1340er Jahren dort auf. Mögliche Kontakte zwischen den Trieren Hofjuden und den drei Bewohnern der Brunngasse 8 erscheinen plausibel, sind aber nicht nachgewiesen.

Johann der Blinde (1296-1346): Der Sohn von Heinrich VII. wurde durch Heirat im Jahre 1310 zum König von Böhmen. Bei seinem Feldzug in Norditalien 1330 könnten Minne und ihre Söhne eventuell zur Finanzierung des Unternehmens beigetragen haben. So könnten die Luxemburger als Bindeglied zwischen den Zürcher Juden und dem königlichen Heerlager fungiert haben.

Die Grafen von Luxemburg stellen das wohl wichtigste Wappen im Saal an der Brunngasse. Es thront in der Mitte der auserwählten Gruppe, die über eine kalligraphisch sorgfältig angebrachte gotische Anschrift verfügen. Die Positionierung des Wappens in der fensternahen Zone der Westwand legt nahe, dass bei festlichen Anlässen an dieser Stelle der Tisch mit den wichtigsten Gästen platziert wurde.

Weiterhin hebt sich dieses Wappen zum Rest durch die Verwendung der wertvollsten Farben ab. Anstelle des billigeren Blei-Mennige wird einzig und allein für den Luxemburger Löwen ein teures Zinnoberrot verwendet.

Dass der Löwe die wohl häufigste Wappenfigur in Europa darstellt ist ungewöhnlich, da sie auf keiner germanischen oder keltischen Tradition beruht. Stattdessen stammt die Popularität des Löwen aus der Bibel und aus Bestiarien. Diese wurden schnell in die Volkssprache übersetzt und somit auch für den Laienadel besser zugänglich gemacht. Die hervorragende Rolle, die der Löwe darin einnimmt, steigert seine Bekanntheit im adeligen Rittertum. Schnell verdrängt der Exot den heimischen Bären als König der Vierfüsser.

Kreuzzüge und das internationale Treiben der Ritter förderten zusätzlich deren Kontakt mit der Löwensymbolik.

Der Löwe vereint in sich die Eigenschaften des höfischen Rittertums: Das königliche Tier mit seiner gefährlichen, aggressiven aber auch grossmütigen und eleganten Natur verkörpert einheitlich die Ideale des adeligen Seins. Aus diesem Grund verwundert es nicht weiter, wie oft der Löwe als Wappentier zur Repräsentation der jeweiligen Geschlechter gewählt wurde.

Die Abbildungen zeigen eine Stilisierung des majestätischen Tieres: Die charakteristischen Merkmale des Kopfes, die Pranken sowie der Schwanz sind hervorgehoben, wohingegen der Körper meist schmal zusammengepresst erscheint. Die Mähne ist oft reduziert dargestellt oder gänzlich weggelassen.

Die Darstellungen zeigen den Löwen grundsätzlich im Profil auf einer Hinterpranke aufgerichtet stehend. Der König der Tiere wird häufig mit einer Krone als Attribut ausgestattet, ansonsten thront er aber zumeist ohne Beigaben auf den Wappenschilden.

Am häufigsten erstrahlt der Löwe in roter Farbe. Weit verbreitet sind aber auch schwarze, goldene oder silberne Darstellungen.

Dem Luxemburger Löwen in der Brunngasse hauchte ein unbekannter Maler Leben ein. Unter seiner Hand verwandelte sich der Raum zum Festsaal.

Eine fiktive Reise zur Entstehung des Wappenfrieses

Der Löwe ist jedoch nicht nur in Wappen sehr beliebt. Den majestätischen König der Tiere findet man noch heute überall in Zürich.

Der Zürileu

Seit 1490 findet sich der Löwe auch im Zusammenhang mit dem Zürcher Wappen. Seit der Glasmalerei von Lux Zeiner posiert der Löwe als stolzer Schildhalter. Oft tauchen die Löwen zu zweit auf beiden Seiten des Wappens auf. In seinen Pranken hält der eine jeweils ein Schwert, der andere einen Reichsapfel, der nach 1700 einem Palmwedel weichen musste. Noch heute werden die majestätischen Schildhalter im Vollwappen von Kanton und Stadt Zürich abgebildet. Doch warum überhaupt?
Es besteht weder ein Zusammenhang zwischen der Wappensymbolik und den tierischen Schildhaltern, noch kann der Zürileu an ein lokales Legendengut angeknüpft werden. Es scheint, als wäre der Löwe aufgrund der Attribute gewählt worden, die er verkörpert:
Als Symbol für Mut, Stärke und Kraft wie auch für Kühnheit und Tapferkeit eignet sich der Löwe perfekt als Repräsentationsfigur.

Die Herren von Blankenburg

Die Herren von Blankenburg stellten einen illegitimen Zweig der Herren von Weissenburg dar und finden nur zwischen 1316 und 1359 Erwähnung.

Als Rat in der Stadt Bern und Vogt von Laupen wird der Ritter Anton von Blankenburg von 1325 bis 1352 erwähnt.

Im Wappenfries der Brunngasse 8 sticht das Wappen der Blankenburgs besonders ins Auge: Die ursprünglich falsche hebräische Anschrift Blankenstein wurde durch eine andere Handschrift in Blankenburg korrigiert. Dieser Fehler zeigt, dass dieses Herrengeschlecht den Zürchern kaum bekannt war. Noch deutlicher wird dies durch die Tatsache, dass die Herren von Blankenburg weder auf anderen Wandmalereien in Zürich und der Ostschweiz, noch in der Zürcher Wappenrolle abgebildet sind.

Üblicherweise wird die Abbildung einer Burg im eigenen Wappen gewählt, um damit auf einen Besitz oder Herkunft hinzuweisen. Bei den Blankenburgs ist es naheliegend, dass sie wohl ihr Eigenheim – die Blankenburg – zum Gegenstand ihres Wappens machten.

Die Abbildung zeigt dabei aber keine individuellen Charakteristiken der eigenen Burg, sondern folgt einem üblichen Schema. Dadurch halten sie die traditionelle heraldische Stilisierung ein.

Die Burg selbst brannte 1767 ab und wurde daraufhin durch einen barocken Flügelbau ersetzt.

Der Grund, wieso das in Zürich sonst unbekannte Geschlecht der Blankenburgs dennoch im Wappenfries der Brunngasse 8 abgebildet ist, könnte simpel sein: Vermutlich führten Geschäftsbeziehungen einen Blankenburger Herren durch die Brunngasse direkt in den jüdischen Festsaal.

Die Grafen von Helfenstein

Das alte schwäbische Adelsgeschlecht war nach der Burg Helfenstein benannt. Die einflussreiche Familie hatte viele Güter in ihrem Besitz. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts aber kämpften sie immer wieder mit finanziellen Nöten; die Pestwellen im 14. Jahrhundert verursachten weitere wirtschaftliche Einbrüche.

Welches Familienmitglied genau mit den jüdischen Besitzern der Brunngasse 8 in irgendeiner Verbindung stand ist unklar. Ihre einflussreiche zeitgenössische Präsenz führt aber dazu, dass die Anwesenheit ihres Wappenschildes in den Reihen anderer prominenter Persönlichkeiten der Zeit nicht weiter überrascht. 

Das Wappen der Grafen von Helfenstein kann sich keiner besonderen Hervorhebung innerhalb des Wappenfrieses erfreuen. Wie bei allen anderen abgebildeten Wappenschilden findet sich auch hier die hebräische Beschriftung unterhalb der Abbildung.

Dennoch zieht dieses Wappen den Blick des Betrachters auf sich und zwar auf Grund des exotischen Inhaltes: ein silberner Elefant auf rotem Grund.

Exotische Vierbeiner wie Elefanten und Kamele finden sich bereits im mittelalterlichen Europa. Der Elefant ist dank Alexander dem Grossen, Hannibal und Karl dem Grossen durch seine hohe literarische und symbolische Bedeutung in Europa bestens bekannt.

Da es den meisten zeitgenössischen Augen jedoch verwehrt blieb jemals einen Blick auf ein reales Exemplar zu werfen, sind extreme Betonungen ihrer körperlichen Merkmale in Abbildungen üblich. Dies kommt der traditionellen Tugend der Stilisierung von Wappeninhalten entgegen.

Der Elefant könnte diesem Geschlecht als Anspielung auf den Namen Helfenstein gedient haben. In diesem Fall würde es sich hier um ein redendes Wappen handeln, worin das Wappenbild den Namen des Inhabers bildlich darstellen soll. Die Nähe von Elefant zu Helfenstein ist allerdings für heutige Ohren nicht besonders plausibel.

Der Elefant als Symbol ist in Zürich deutlich weniger weit verbreitet als der Löwe, aber dennoch anzutreffen.

Nicht alle Wappen des Wappenfrieses lassen sich aber wirklich historisch existierenden Personen zuweisen. Sabine Sommerer vertritt die These, dass

„die Auftraggeber der Malereien und insofern auch der Wappenfriese - gut vergleichbar mit facebook - darum bemüht waren, sich selbst in einer globalen Weltordnung einzuordnen und sich dabei gerne durch Anbringung ihres eigenen Wappens an akzentuierten Orten in Szene gesetzt haben. Dabei geht es um das Zurschaustellen der eigenen realen wie auch fiktiven Freunde.“

Der Wappenfries gilt folglich weniger der Repräsentation der abgebildeten edlen Geschlechter, sondern viel mehr um den persönlichen Anspruch, dazu zu gehören.



Die dargestellten Wappen sollten folglich die prominentesten Personen der Zeit vergegenwärtigen. Prominenz ist in diesem Falle aber nicht einfach zu definieren. Einflussreiche Adelsgeschlechter und Inhaber wichtiger Ämter gehörten meist dazu. Andererseits konnten aber gerade profane Raumausstattungen mit zusätzlichem Wappenfries als Medium genutzt werden, um sich selbst als zeitgenössische Prominenz auszugeben.

Ein Wappenfries ist somit nicht nur Spiegel der zeitgenössischen Prominenz, sondern stellt auch den Eigenanspruch des Auftraggebers dar.

Stars der Heraldik

In der Heraldik weit verbreitet sind die sogenannten Heroldsbilder. Dabei handelt es sich um geometrische Figuren, die dadurch entstehen, dass gerade oder gewellte Linien regelmässig den Schild teilen. Diese Figuren erfreuen sich besonderer Beliebtheit, da sie eine klare Trennung der Schildteile erzeugen. Die dadurch entstandenen Farbgegensätze tragen dazu bei, dass das Wappen schnell und leicht zu erkennen ist.

Bezüglich der Symbole zählen Kreuze zu den am häufigsten vorkommenden Wappenbildern. Grund dafür ist die Bedeutung des Kreuzes als Zeichen für die Befreiung des Heiligen Landes. Die Prominenz dieses kollektiven Symbols des Abendlandes fällt genau in die Zeit, in der das Wappenwesen zu entstehen beginnt und findet sich deshalb auf besonders vielen Wappen. Die Kreuze zeigen sich dabei in einer form- und farbenreichen Vielfalt.

Einer besonders hohen Beliebtheit erfreuen sich aber die Tiere. In den frühen Wappen finden Tierdarstellungen in 50% aller Wappen Einzug. Ihre Popularität sinkt aber ab der Mitte des 13. Jahrhunderts. Die meisten Tierwappen finden sich in Schottland, Österreich, Süddeutschland und der Schweiz. Im 12. Jahrhundert ist die Anzahl der zur Abbildung verwendeten Tiere zwar noch begrenzt, doch neben den in Europa allgemein bekannten Vierfüssern, Vögeln und Fischen sind auch bereits Löwen und Ungeheuer vertreten.

Besonders der Löwe geniesst einen kometenhaften Aufstieg zum häufigsten Wappentier überhaupt. In der Internationalität des ritterlichen Zeitalters wird er zum regelrechten Mode-Tier der Kreuzzüge. Am häufigsten erstrahlt seine Darstellung in roter Farbe, aber auch schwarz, gold und silbern sind oft zu finden.

In Frankreich, Spanien und Italien zieren allein der Löwe und der Adler ¾ aller Tierwappen. Der Adler ist nach dem Kreuz und dem Löwen das dritthäufigste Wappenbild. Als König der Vögel geniesst er in der gesamten Menschheit einen hohen Stellenwert. Durch seinen Bezug zur Sonne eignet er sich besonders gut als Symbol für Götter und mächtige Herrscher.

Im Bereich der Pflanzen und Naturdarstellungen sind besonders Lilien, Berge und Flüsse weit verbreitet.

Doch nicht nur der Inhalt eines Wappenschildes, sondern auch die darin verwendeten Farben tragen Bedeutung. In der Farbhierarchie steht meist Gold an oberster Stelle, gefolgt von Rot und Blau. Schwarz und Weiss bilden das Fundament dieser Pyramide. Diese unterschiedlichen Stellenwerte der Farben verleihen dem Wappen eine soziale Bedeutung.

In mittelalterlichen Wappen wird Rot mit Abstand am meisten verwendet. Die durch Zinnober oder Mennige gewonnene Farbe findet sich in 60% aller Wappen. An zweiter Stelle steht Silber/Weiss, dicht gefolgt von Gold/Gelb. Darauf folgen Schwarz, Blau und alle restlichen verwendeten Farben.

Die Konstellationen von Rot & Silber und Rot & Gold findet sich dabei am häufigsten.

Wie steht es damit in der
Brunngasse 8?

In den erhalten gebliebenen, freigelegten Wappenschilden des grossen Saales dominieren Adler und Löwe deutlich die Szenerie. Beide sind in den 12 Tierwappen je viermal vertreten. Sie nehmen damit die erste Stelle in der Rangliste der Häufigkeit ein und bestimmen zusammen 2/3 aller Tierwappen.

Grafen von Froburg

Grafen von Froburg

Grafen von Flandern

Grafen von Flandern

Die Farbe Rot ist in rund 71% der erhaltenen Wappen enthalten und ist damit die am häufigsten verwendete Farbe. An zweiter Stelle stehen Gelb/Gold und Weiss/Silber, die in je 58% der Wappen vertreten sind.


Wie stark kann also der Wappenfries als Spiegel der zeitgenössischen Verhältnisse bezüglich beliebter Wappenmotive und -gestaltung angesehen werden?

Keines der heute sichtbaren Wappen beinhaltet die wohl häufigste Figur in der Heraldik: das Kreuz. Bezüglich des Anteils an Tierdarstellungen hingegen entspricht die Brunngasse 8 mit 50% der zeitgenössischen Norm. Weiter sind auch hier Löwe und Adler als die prominentesten Tiere vertreten; ihr Verhältnis ist ausgeglichen. Rot wird im jüdischen Wappenfries überdurchschnittlich oft verwendet, die Häufigkeitsrangliste insgesamt entspricht aber den Erwartungen.

Die Frage, ob der Wappenfries der Brunngasse 8 hinsichtlich der Wappenmotive als Repräsentant der Zeit taugt, kann folglich mit „Ja“ beantwortet werden.

Die oben abgebildeten Siegel zeigen das Wappen der jüdischen Familie der Brunngasse. Es ist auf Urkunden überliefert, findet sich aber nicht auf dem Wappenfries in ihrem eigenen Festsaal. Wieso nicht?

Womöglich galt der Einbezug des jüdischen Wappens unter den christlichen Betrachtern als unerlaubter Traditionsbruch? Liegt die Bedeutung des Wappenfrieses weniger in der Repräsentation der Geschäftspartner, sondern eher der einflussreichen Persönlichkeiten der Zeit? Könnte es sich dadurch für die jüdischen Bewohner nicht gehört haben, sich selbst in denselben Rang zu erheben durch eine gemeinsame Abbildung im selben Fries?

Es bleiben uns nur Spekulationen.

Jüdische Wappen

Der Judenhut, der auch das Wappen von Minnes Söhnen ziert, stellte im Hochmittelalter einen üblichen Bestandteil der Tracht jüdischer Männer dar. Deshalb überrascht es auch nicht, dass der Judenhut eine prominente Stellung in jüdischen Wappen einnimmt. Er wird selten alleine dargestellt, sondern bedeckt zumeist als gelb oder weiss gefärbtes Nebenmotiv den Kopf einer Figur oder erscheint – wie oben – in dreifacher Ausführung.

Doch nicht nur der Judenhut ist ein beliebtes Symbol der jüdischen Heraldik. Weit verbreitet sind auch Abbildungen einer Mondsichel mit Stern, von Tieren (wobei Löwe, Adler und Ochse dominieren) oder der Einbezug hebräischer Schriftzeichen. Dadurch wird die vom Wappenträger praktizierte Religion in vielen Fällen schnell ersichtlich.

Der Judenhut reiht sich ein in die Tradition der weit verbreiteten Wappenbilder. 

Der Wappenfries als Quelle mittelalterlicher sozialer Verhältnisse

Der Anspruch des Wappenfrieses besteht darin die „Prominenz“ der Zeit darzustellen. Da jene Personen auch zumeist in einflussreiche Geschäfte verwickelt waren, überrascht es nicht, dass die Zürcher Juden Minne und ihre Söhne Gumprecht und Mose als Geldleiher mit ihnen in Verbindung standen. Der Wappenfries der Brunngasse 8 kann somit – heute vergleichbar mit Facebook – als Netzwerk ihrer Bekanntschaften angesehen werden. Die einflussreichsten Wappenträger der Zeit wurden darin geehrt und verewigt. Die zur Schau gestellten Freunde und Bekannten dienten zur Einordnung der jüdischen Familie ins regionale Netzwerk.




Dank:
Ich möchte mich besonders bei Dr. Sabine Sommerer für Ihren Beistand bedanken. Ihre Gedankenanstösse haben dazu beigetragen, dieser Arbeit Form zu verleihen.
Weiterhin danke ich meiner Tandempartnerin, die mir stets mit Rat zur Seite stand und Edgar Frei, der mir für die fiktiven Teile seine Stimme zur Erzählung lieh.


Bibliographie:
Daniel M. Friedenberg: Medieval Jewish seals from Europe. Detroit: Wayne State University Press 1987.

Dölf Wild und Roland Böhmer: Die spätmittel-alterlichen Wandmalereien im Haus „Zum Brunnenhof“ in Zürich und ihre jüdischen Auftraggeber. In: Zürcher Denkmalpflege, Stadt Zürich, Bericht 1995/96, S. 15-33.

Georg Scheibelreiter: Heraldik. In: Oldenbourg historische Hilfswissenschaften. Wien: Oldenbourg 2006.

Gert Oswald: Lexikon der Heraldik. Mannheim, Wien, Zürich 1984. S. 217.

Louis Mühlemann: Wappen und Fahnen der Schweiz. 3. Auflage. Lengnau: Bühler-Verlag 1991.

Oswald Gabelkover: Historia und Beschreibung des uralten Geschlechts der Grafen von Helfenstein von 860 bis 1604. In: Württembergische Geschichte. Württ. Landesbibliothek Stuttgart, Cod. Donaueschingen 591, Bl. 109v, 1539–1616.

Peter F. Kopp: Wappen. In: Historisches Lexikon der Schweiz. URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12809.php (29.03.18)

Roland Böhmer: Neidhart im Bodenseegebiet. Zur Ikonographie der Neidhartdarstellungen in der Ostschweizer Wandmalerei des 14. Jahrhunderts. In: Gertrud Blaschitz (Hrsg.): Neidhartrezeption in Wort und Bild, Medium Aevum Quotidianum Sonderband X, 2000, S. 30-52.

Roland Böhmer: Bogenschütze, Bauerntanz und Falkenjagd. In: Eckart Conrad Lutz et al. (Hrsg.): Literatur und Wandmalerei. Erscheinungsformen höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter: Freiburger Colloquium 1998, Band 1, Tübingen: Niemeyer 2002, S. 329-364.

Viktor Schobinger: Zürcher Wappenkunde: Das Wichtigste über Familienwappen. 4. Auflage, Zürich: Zürcher Kantonalbank 1993.


Bildquellen:
Fotos der Brunngasse 8: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich. URL: http://baz.e-pics.ethz.ch/#1522931275021_0

Zürcher Wappenrolle: Zürich, Schweizerisches Nationalmuseum, AG 2760: Zürcher Wappenrolle (https://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/snm/AG002760)

Wappenfries „Zum Langen Keller“: © Schweize-risches Nationalmuseum, Foto Jasmin Frei

Zeichnung Adelsfrau: Sabine Frei

Heroldsbilder: Georg Scheibelreiter: Heraldik. In: Oldenbourg historische Hilfswissenschaften. Wien: Oldenbourg 2006, S. 41.

Siegel von Mose & Gumprecht: Daniel M. Friedenberg: Medieval Jewish seals from Europe. Detroit: Wayne State University Press 1987, S. 160.



Dieser Beitrag entstand im Seminar Brunngasse 8 und Film (Prof. Dr. Hildegard Keller, Frühlingssemester 2018) am Deutschen Seminar der Universität Zürich.