Wie ich mein erstes Geld verdiente
Erster Teil

Wir erzählen in dieser Geschichte vom Geld und wie wir zum ersten Mal einen Begriff davon entwickelt.
Gottfried Keller, die Titelfigur unserer Geschichten, zierte einmal eine Zehnernote. Sie war in Umlauf zwischen dem Ungarn-Aufstand und den Jugendunruhen in Zürich. Keller erzählt oft von Geld und materiellem Besitz, weil er daran Abgründe zeigen kann. Geld und die Gier nach mehr macht etwas mit den Menschen. Die drei gerechten Kammmacher geben ebenso Auskunft wie Martin Salander.
Auch persönlich hätte Gottfried Keller viel zu erzählen, wenn es um das selbst verdiente Geld geht. Länger, als ihm wohl lieb war, lebte er vom Geld seiner Mutter. Auf einer unserer Exkursionen zur Geschichte des Geldes haben wir auch einen Blick in Kellers Geldbeutel getan.
Viel Freude mit unseren Geschichten.
Mit Schere und Papier
zum ersten Geld
Florian Koller



Viele haben zu wenig, wenige haben zu viel davon. Es ermöglicht und verunmöglicht. Es mobilisiert Erwachsene aller Couleurs und ist Fluch und Segen zugleich. Die Rede ist von Geld.
Im Kindesalter ist das Verhältnis zu Geld entspannter und spielerischer – zumindest in unseren Breitengraden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich mein erstes Geld verdient habe.
Ich war sechs Jahre alt. Ich jubelte, wenn ich einen Fünfräppler am Boden fand, und überlegte, wie ich ihn investieren könnte. Eine Gummischlange oder doch die mega leckeren, zuckersüssen Kaugummis, die mich aus dem Automaten anstrahlten?
Es war eine Zeit, in der ich mich reich fühlte, wenn ich mein Sackgeld – einen Einfränkler – in den Händen hielt, und mir ausmalte, was ich damit alles machen konnte. Das war wohl das Wichtigste. Die Münze regte meine Vorstellungskraft an. Mit dem Franken begann ich jede Woche neu zu träumen.
«Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein grosser für mich.»

In jener Zeit kamen wir auf die glorreiche Idee, die uns zu unserem ersten selbstverdienten Geld verhalf. Gemeinsam mit meiner Schwester und anderen Kindern aus dem Quartier pflückten wir in einer nahegelegenen Wiese Blumen, gingen auf die Suche nach schön glitzernden Steinen, sammelten leere Toilettenpapierrollen und weitere Kleinigkeiten, die uns wertvoll erschienen. Anschliessend versammelten wir uns in unserem Wohnzimmer, und bastelten drauf los – mit Scheren, Leimstiften und Papier. Es entstanden Mini-Kunstwerke: vom Steinmännchen mit zwei Köpfen bis hin zu sorgfältig geknüpften Gänseblümchen-Ketten.
Stolz präsentierten wir die Werke unseren Nachbarn. Von Tür zu Tür verkauften wir unsere Gegenstände. Sie kauften sie für fünf, zehn Rappen – wenn es hoch kam, gab es einen Franken. Dass wir alles verkaufen konnten, war das Einzige, was zählte.
Rund zwanzig Jahre später erinnere ich mich mit wohligem Gefühl an diese Momente der Unbeschwertheit. Wie nervös wir vor den Haustüren standen, wie zufrieden wir nach dem Verkauf waren und wie glücklich ich mein Schweine-Kässeli mästete. Nie vergesse ich diesen Stolz, als ich meine ersten Franken schliesslich selber zur Bank brachte.










Mein erstes Geld
Gewinn aus dem Schweiss
Xinyi Wang

Als ich sechs Jahre alt war, wollte ich mein eigenes Taschengeld verdienen. Ich erzählte dem Nachbarsmädchen von dieser Idee und sie wollte auch selbst Geld verdienen. Deshalb entschieden wir uns, Abfallprodukte zu verkaufen.
Wir sammelten jeweils zu Hause den wiederverwertbaren Abfall ein, wie Plastikflaschen, alte Zeitungen und alte Bücher.
Wir liehen uns einen kleinen Plattformwagen, auf den wir gemeinsam die gesammelten Gegenstände luden. Wir hatten ein Erfolgserlebnis, als der Wagen mit dem Müll beladen war. Unterwegs schwitzten wir stark, aber wir ermutigten uns gegenseitig und waren voller Freude, weil wir dachten, dass dieser Unrat für viel Geld eingetauscht werden könnte.
Endlich kamen wir am Wertstoffhof an. Die Müllsammler sortierten unsere Abfälle und wogen sie separat, und dann bekamen wir ungefähr 30 Yuan* dafür.
Zu jener Zeit gab es in China noch kein vollständiges System zur Sortierung von Hausmüll, aber Plastikprodukte, Altpapier etc. konnten zum Verkauf an die Recyclingstation abgegeben werden. Der Lohn für das Recycling war nicht hoch, aber für mich und meine Partnerin schon eine riesige Geldsumme. Dies war ein magischer Moment. Es war das erste Mal, dass ich selbst-verdientes Geld in Händen hielt.
*1 Franken ist knapp 7 Yuan.

Im heutigen China verbessert sich das Müllklassifizierungssystem, vor allem in Grossstädten wie Peking und Shanghai. Man soll den Müll gemäss dem Entsorgungskalender entsorgen. Momentan werden Recyclingstationen selten gesehen.

Der Goldesel
Hildegard Keller

Ich war in der zweiten Klasse, als wir einen neuen Nachbarn bekamen. Er hatte einen merkwürdigen Namen, stammte aus Vöcklabruck, seine Frau konnte jodeln und Malakofftorten backen. Er war Fabrikbesitzer, was man an seinem goldenen Chevrolet sah. So viel Gold hatte ich noch nie gesehen.
Eines Tages fragte er mich, ob ich sein Auto reinigen wolle, innen und aussen, für zehn Franken. Ich nahm an, weil ich wusste, was ich mit dem Geld machen würde. Ich träumte von meiner ersten Hose.
Ich holte das Putzzeug meiner Mutter und machte mich an die Arbeit. Es war nicht allzu schwer, ich konnte mit dem Staubsauger umgehen und wusste, mit welcher Aufsteckbürste man unter die Sitze kam. Unter einem der Teppiche bei den Vordersitzen fand ich ein Zweifrankenstück, das ich einsackte.
Als ich fertig war, ging ich zum Besitzer des Autos. Er war zufrieden, drückte mir eine rote Zehnernote mit dem alten Mann drauf in die Hand. Schon am nächsten Tag ging ich in das Kaufhaus, in dessen Schaufenster ich die schönste Manchesterhose auf der ganzen Welt gesehen hatte. Hellblau, mit dicken Rippen und leichtem Schlag. Sie kostete genau zwölf Franken. Ich kaufte meine erste Hose. Später, als die richtig grossen Schläge aufkamen, nähte ich mir einen mit Blumenmuster rein.
Ein Jahr lang war der Chevrolet mein Goldesel, dann zog der Nachbar leider weg. In einer anderen Stadt hatte er sich ein Haus gebaut. Wenn du gross bist, sagte er, wirst du meine Sekretärin. Dazu kam es dann nicht mehr, doch die Hose habe ich getragen, bis die hellblauen Rippen auf den Oberschenkeln ganz abgeschabt waren.