Balletthaus

von Lea Tobler

Bild: Andrin Fretz - Opernhaus Zürich

Bild: Andrin Fretz - Opernhaus Zürich

Ballett faszinierte mich schon als kleines Mädchen. Ich tanzte mich in diese Welt der Anmut, mit den endlosen Stunden im Studio, schmerzenden Zehen und brennenden Muskeln, aber das war das Tanzen mir wert. Die glitzernden Tutus, Musik und der Traum von Perfektion zogen mich magisch an. Auch ich wollte Geschichten allein durch Bewegung erzählen, im Meer aus Licht und Applaus. Prima Ballerina zu werden ist kein einfacher Weg, das wusste ich schon damals, aber die Flamme brannte heller als Zweifel, Enttäuschung und Erschöpfung.

Alles begann, als mein Grossvater mich zu einer Schwanensee-Aufführung im Opernhaus Zürich mitnahm. Ich erinnere mich noch genau an den prunkvollen Kronleuchter. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Wir sassen auf Samtsesseln und hörten Tschaikowsky. Mein Herz tanzte zum ersten Mal. Die Tänzerinnen schwebten mit schier überirdischer Eleganz über die Bühne, Odette brachte die Trauer des Schwanenmädchens mit ihrem Körper zum Fliessen. An diesem Abend fand ich mein Lebensziel – damals schien es mir so.

In der Schweiz hat das Ballett einen besonderen Platz. Wir sind bekannt für Pünktlichkeit, Präzision und Perfektion – Elemente, die das Ballett ausmachen. Doch Ballett in der Schweiz ist mehr als nur Spitzenschuhe und klassische Melodien. Es ist ein Ort, wo Innovation und Tradition, Klassik und Moderne aufeinandertreffen.

So auch im Opernhaus Zürich. Es beherbergt eine internationale Ballettkompanie mit europäischem Renommée. Seit 2023 ist die britisch-schweizerische Choreografin Cathy Marston neue Ballettdirektorin. Höhepunkt ihrer ersten Saison war die Uraufführung von «Atonement», eines eigenen Stückes, welches auf dem gleichnamigen Roman von Ian McEwan basiert. Das «Tanznetz» schreibt von einer «bewundernswerten Kreation» und einem «stimmungsvollen, emotionalen, mit vielen originellen Details ausgestatteten Handlungsballett».

Was mich ebenfalls fasziniert, ist das Engagement des Opernhauses für die jüngere Generation. Projekte wie Die Schule tanzt! bringen Tanz und Kultur direkt zu den Jugendlichen. Das Opernhaus baut eine Brücke zwischen Bühne und Alltag. Diese Verbindung finde ich eindrucksvoll. Schon beim Betreten des Gebäudes spüre ich die Geschichte in seinen Mauern und die Leidenschaft der Menschen, die hier täglich arbeiten. Die Bühne des Opernhauses ist für mich nicht nur ein Ort, an dem Magie entsteht, sondern auch ein Symbol dafür, dass Kunst etwas verändern kann, und was sie alles auslösen kann, zeigt sich auch in der Geschichte.

Geschichte

Bild: Baugeschichtliches Archiv ETHZ

Bild: Baugeschichtliches Archiv ETHZ

Wenn ich die prunkvolle Architektur des Opernhauses betrachte, denke ich oft an die Geschichten, die sich hier über die Jahre abgespielt haben müssen. 1891 als Stadttheater eröffnet, hat dieses Gebäude so viele Transformationen erlebt – vom Wiederaufbau nach einem Brand bis hin zur modernen Erweiterung in den 1980er-Jahren.

Um 1880

Planung

Ursprünglich wurde das Gebäude von einem Wiener Architekturbüro für den Bau in Krakau geplant, und wurde dann kurzerhand in Zürich errichtet.

1891

Eröffnung als Stadttheater

Das Opernhaus wurde am 30. September 1891 mit der Wagnerschen Oper Lohengrin eröffnet.

Um 1900

Anfänge

In den ersten Jahren nach der Eröffnung war das Haus als Musik- und Sprechtheater vorgesehen und verlagerte dann aber seinen Schwerpunkt nach der Eröffnung des Schauspielhauses am Pfauen 1926 auf Oper und Ballett. 1964 erhielt es den Namen «Opernhaus Zürich».

1980er

Opernhauskrawalle

Eine bedeutende Renovation mit Erweiterung erfolgte zwischen 1982 und 1984. Die Finanzierung für diesen Umbau wurde Auslöser für die sogenannten Opernhauskrawalle in den 1980ern. Diese zeigen, wie stark Kultur und Gesellschaft miteinander verwoben sind. Die Wiedereröffnung fand im Dezember 1984 statt. Es fasziniert mich, wie dieser Ort auch eine Plattform für gesellschaftliche Diskussionen war.

In einer Welt, die sich immer schneller dreht, bietet das Ballett einen Moment der Stille – eine Einladung, sich dem Zauber der Bewegung hinzugeben und sich von der Schönheit des Augenblicks berühren zu lassen. Tschaikowsky war der Ursprung meiner Liebe zum Ballett und hat auch heute noch mein Herz, aber mit der Zeit habe ich auch andere Stücke und deren Geschichten lieben gelernt. Ich war zehn Jahre alt bei meiner ersten richtigen Aufführung und vierzehn, als ich den «Tanz der vier kleinen Schwäne» lernte. Da begann ich auch mit dem Unterrichten, ich wollte meine Leidenschaft weitergeben.

Bild: Andrin Fretz - Opernhaus Zürich

Bild: Andrin Fretz - Opernhaus Zürich

Giselle

Ballettstücke berühren einen Teil von mir, der Schmerz für Passion in Kauf nimmt. So berührt mich auch die Geschichte von Giselle. Am 28. Juni 1841 schlägt an der Pariser Oper die Geburtsstunde des romantischen Balletts. Basierend auf einer von Heinrich Heine 1834 veröffentlichten Legende, erzählt Giselle ou Les Wilis die Geschichte eines Bauernmädchens zur Musik von Adolphe Adam. Giselle, gilt als ein Meisterwerk der Romantik und erzählt eine tragische Geschichte von Liebe, Verrat und Erlösung.

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Giselle, ein unschuldiges Winzermädchen, verliebt sich in Albrecht, einen als Bauern verkleideten Adligen. Als Giselle von Albrechts Verlobung mit einer anderen Frau erfährt, verfällt sie in Wahnsinn und stirbt an gebrochenem Herzen. Der zweite Akt spielt in der übernatürlichen Welt der Wilis, Geister jung verstorbener Bräute, die Männer zu einem tödlichen Tanz zwingen. Giselle wird Teil dieser Geister, bewahrt jedoch Albrecht vor ihrem Schicksal, indem sie ihn mit ihrer Liebe stärkt, bis die Morgendämmerung die Macht der Wilis beendet. Schließlich verschwindet Giselle in ihr Grab, während Albrecht allein zurückbleibt.

Die Choreografie, inspiriert von Patrice Barts Inszenierung für das Opernhaus Zürich, kombiniert klassische Eleganz mit dramatischer Intensität. Adolphe Adams Musik trägt mit ihren melodischen Kontrasten zur emotionalen Tiefe des Werks bei. Die zeitgenössische Ausstattung des Zürcher Balletts verbindet romantische Tradition mit moderner Ästhetik, um die zeitlose Botschaft des Stücks zu unterstreichen: die transformative Kraft der Liebe.

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Die Französin Mélanie Borel ist seit 2008 beim Ballett Zürich und tanzt bei «Giselle» die Bathilde. In einem Interview erzählt sie: «Ich mag es, wenn ich mich mit einem bestimmten Stil auseinandersetzen kann. Giselle ist die Inkarnation des romantischen Balletts. Das bedeutet sehr hohe Anforderungen, was die Genauigkeit und Disziplin in der Bewegung angeht. Ich werde erneut die Bathilde verkörpern, die adlige Verlobte von Herzog Albrecht. Dass er bereits vergeben ist, hat er der Winzerin Giselle natürlich verschwiegen. Ich finde es immer wieder bereichernd, dass auch das Schauspielen zum Tänzerberuf gehört. Ich mag es, mich mit unterschiedlichen Rollencharakteren auseinanderzusetzen und in neue Rollen zu schlüpfen.»

«Giselle ist die Inkarnation des romantischen Balletts.»
Mélanie Borel

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Mein Abend bei Giselle begann mit der Anprobe aller meiner Kleider. Ganz vorne an meiner Kleiderstange hängen noch immer meine Spitzenschuhe. Mit roten Wangen betrete ich am Abend das Opernhaus, das majestätisch beleuchtet ist, das Innere ist belebt, Menschen geben ihre Mäntel ab und gehen in den Saal, um ihre Plätze zu finden. Als das Saallicht langsam erlischt, klopft mein Herz schneller. Von den ersten Takten reisst mich die Musik mit.

Max Richter tanzt Giselle, das als nicht-binäre Person. Dieser Diskurs ist nicht neu, aber hochaktuell. Im Ballett spielt das binäre Geschlecht noch eine sehr grosse Rolle, allein auf Grund der Technik. Männer tanzen nicht «en pointe», also nicht auf Spitzenschuhen, weil ihre Muskeln anders geformt sind. Aber es tanzen immer mehr Männer und nicht-binäre Personen auch auf Spitze. Seit ein paar Jahren sind auch breitere Schuhe zugänglich und Ballettkompanien casten vor allem für modernere Stücke auch androgyne Tänzer*innen. Mit diesen Veränderungen wird das Ballett eine zugänglichere Kunstform, für die Tänzer*innen, aber auch für das Publikum, das sich mit den Menschen auf der Bühne identifizieren kann. Und der Traum, eine Prima Ballerina zu werden, bleibt nicht mehr Mädchen vorenthalten.

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Mein Traum von damals – Prima Ballerina zu werden – ging nie in Erfüllung. Bis heute aber habe ich die im Ballett antrainierte gerade Haltung und Füsse, die immer leicht nach aussen zeigen, aber auch Verletzungen, die noch heute mein Leben bestimmen. Zahlreiche Salben, Therapien und schlussendlich zwei nicht erfolgreiche Eingriffe brachten das Ende meiner Ballettkarriere, nicht aber meiner Leidenschaft. Ich glaube nicht, dass sie je nachlassen wird.
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Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Bild: Gregory Batardon - Opernhaus Zürich

Quellen

Opernhaus Zürich https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/giselle/2024-2025/
Tanznetz
https://www.tanznetz.de/de/article/2024/giselle-bart-zuerich
Dance Magazine
https://www.dancemagazine.com/nonbinary-dancers-pointe/#gsc.tab=0

Bilder

Baugeschichtliches Archiv der ETHZ
https://baz.e-pics.ethz.ch/#
Opernhaus Zürich:
Andrin Fretz https://www.opernhaus.ch/presse/pressedownloads/das-haus/#uid_downloads_3
Gregory Batardon
https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/giselle/season_154051/media#uid_19955_bildmaterial

Wenn nicht anders gekennzeichnet, stammen die Fotos von der Autorin.

Dank

Diese Story wäre nicht möglich gewesen, ohne die Unterstützung von verschiedenen Personen.
Danke, Hildegard Keller. Als Dozentin und Redakteurin, hast du geholfen, diese Story auf den richtigen Weg zu bringen.
Nicole, meine Tandempartnerin: Danke für deine zahlreichen, gewinnbringenden Tipps.
Dem Ballett Zürich für die Inspiration und wunderschöne Aufführung von «Giselle».

Danke an alle Leser*innen.