Zürich,
die Juden
und das Geld


1250 - 1436

Zürcher Juden

"Zürcher Juden" beschreibt intuitiv Juden, die Zürich als Wohn- und Wirkstätte gewählt haben. Im Spätmittelalter hat dieser Begriff aber eine weitere Bedeutung: Juden, welche Zürich zugesprochen worden waren.
Im Römisch-Deutschen Reich wurden Juden juristisch über lange Zeit gewissermassen als "Sachwert" betrachtet: Ihr Eigentümer, der jeweilige König oder Kaiser, konnte über sie nach Belieben verfügen. Insbesondere konnte er Städten das Recht geben, Juden aufzunehmen.
Judenfeindlichkeit war aber in ganz Europa weit verbreitet – warum also war Städten dieses Judenprivileg wichtig?

Judenprivileg von König Wenzel für die Stadt Zürich (24.06.1400)

Judenprivileg von König Wenzel für die Stadt Zürich (24.06.1400)

Geld

Christen war es seit 443 verboten, Geld gegen Zinsen zu verleihen. Dies verstosse gegen das Gebot der Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Da aber zinslose Darlehen für den Gläubiger uninteressant sind, brauchte man neue Kreditgeber: Meistens waren das Juden. Für sie galt das Zinsverbot nicht – stattdessen verbot man ihnen abgesehen vom Arztberuf fast jeden andere Tätigkeit. Wenn eine Stadt Juden aufnehmen durfte, profitierte sie von einer Kehillah (jüdischen Gemeinde) mehrfach:

  • Durch Geldverleih und Pfandleihe kurbelten die Juden die Wirtschaft an.
  • Durch zahlreiche Sondersteuern und -abgaben füllten sie die Stadt- und Reichskassen.

Sogar die Judenfeindlichkeit machten die Städte zu Geld: Juden mussten Schutzbriefe kaufen. Hatten sie keinen, waren sie jeglicher Willkür ausgesetzt.

Zürich in 8 Jahreszahlen

Wie stand es im Spätmittelalter eigentlich um Zürich? Die Stadt durchlebte während dieser Zeit viele grundlegende Veränderungen - wenn es um die Frage geht, wie die Obrigkeit ihre jüdische Gemeinde behandelte, gilt es zuerst zu klären, wer denn jeweils diese Obrigkeit war.

1218

Zürich mit seinen 5'000 Einwohnern steht unter der Reichsvogtei der Zähringer, bis am 18. Februar 1218 Berthold V. Herzog von Zähringen (Bild) stirbt. Er hat zwar eine Tochter, Agnes, aber keine überlebenden Söhne. Mit seinem Tod endet die Linie der Zähringer und das Ringen um die Stadt beginnt. Die Grafen von Kyburg und die Freiherren von Eschenbach-Schnabelburg melden ihre jeweiligen Ansprüche an - und Kaiser Friedrich II. urteilt salomonisch:
Er unterteilt die Reichsvogtei entlang der Limmat und spricht jeder Adelsfamilie einen Teil zu. Zürich samt angrenzender Siedlungen aber unterstellt er direkt der Krone und macht sie zur Reichsstadt.

Die Macht in Zürich teilen sich nun die jeweilige Äbtissin des Fraumünsterklosters als Reichsfürstin und der jeweilige Reichsvogt, der aus den mächtigen Zürcher Geschlechtern rekrutiert wird.

1220

Von 1220 gibt es die ersten Spuren eines Rats von Zürich. Dieser setzte sich aus den Mitgliedern des Stadtadels zusammen - ein weltliches Gegengewicht zur Macht des Fraumünsters. Das Siegel (Bild), das 1225 eingeführt wird, zeigt die drei Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius.

Dieser Rat absorbiert nun nach und nach Rechte und Kompetenzen des Reichsvogts und der Reichsfürstin. Dabei helfen zwei Umstände: Zum einen ist die geistliche Front nicht geeint: Fraumünster und Grossmünster wetteifern um die spirituelle Vorherrschaft. Zum anderen ist Friedrich II. in einen Konflikt mit dem Papst verwickelt. Der Rat stellt sich auf die Seite des Kaisers, die Klöster auf die des Papstes. Dies macht die Entscheidung für Friedrich II. einfacher, Rechte vom Fraumünster auf den Rat zu übertragen.
Dessen ungeachtet wird die jeweilige Äbtissin des Fraumünsters bis 1515 nominell die Stadtherrin Zürichs bleiben.

1250

Der erste Richtebrief der Stadt Zürich wird erstellt. Er ist eine Sammlung in der Stadt geltender Gesetze. Unter anderem sind sogenannte Schwurverbände verboten, damit will man verhindern, dass die Zünfte an Einfluss gewinnen.
Der Klerus wird explizit den Stadtgesetzen unterworfen.
1252 wird das erste Ratshaus Zürich gebaut, um die Macht des Rats im Stadtbild sichtbar zu machen. Dem Rat gehören nur Ritter und Patrizier an - Handwerker sind praktisch rechtelos.
1304 wird eine Abschrift des Richtebriefs erstellt, diese stellt das älteste erhaltene dieser Gesetzessammlung dar.

1336

Die rechtelosen Handwerker revoltieren unter Führung des Ritters Rudolf Brun. Der alte Rat wird abgesetzt und die Mitglieder samt ihrer Familien aus Zürich verbannt.
Mit dem ersten Geschworenenbrief (Bild) wird Zürich eine neue Verfassung gegeben. Der neue Stadtrat besteht zu gleichen Teilen aus Vertretern der Zünfte und aus Ritterschaft und Geldadel.
Rudolf Brun lässt sich zum Bürgermeister auf Lebenszeit ernennen und amtet bis zu seinem Tod 1360 praktisch als Alleinherrscher in Zürich.

1349

Die meisten der etwa 400 ortsansässigen Juden werden in einem Pogrom verbrannt, die Überlebenden fliehen. Schon kurze Zeit später ziehen wieder Juden in die Stadt.

1351

Da Zürich im Krieg mit den Habsburgern liegt, sucht Bürgermeister Rudolf Brun Verbündete. Am 1. Mai 1351 tritt Zürich deshalb der Eidgenossenschaft bei (Bild). 1355 handelt Brun einen Frieden zwischen Zürich und Habsburg aus, ohne die Eidgenossen zu beteiligen.

1373

Der zweite Geschworenenbrief kippt das Machtverhältnis deutlich zu Gunsten der Zünfte. Dies prägt die weitere rechtliche Entwicklung der Stadt, so muss man etwa ab 1378 Mitglied einer Zunft sein, wenn man das Bürgerrecht Zürichs erlangen will.

1433

Nachdem Zürich in den letzten Jahrzehnten bereits verschiedene Rechte zugestanden worden sind, erteilt Kaiser Sigismund dem Stadtrat das Recht, Erlasse jeglicher Art letztinstanzlich und gültig zu verabschieden. Damit ist Zürich faktisch unabhängig.

Geld im Mittelalter

Geld ist und war schon immer eine komplizierte Angelegenheit. Auf einen Punkt gebracht, ist es ein allgemeines Tauschmittel. Es ermöglicht dem Bäcker auch dann etwas vom Schneider zu bekommen, wenn der gerade kein Brot möchte.
Für seinen Zweck ist Münzgeld ziemlich ideal:

  • Es ist klein teilbar, damit auch kleine Tauschgeschäfte damit abgehandelt werden können.
  • Es verwittert nicht, dadurch kann es gespart werden.
  • Es ist normiert, wodurch die Münzen untereinander vergleichbar sind.

Im Mittelalter wurde die Normierung theoretisch dadurch sichergestellt, dass nur Münzen prägen durfte, wer das Münzrecht hatte. Auf dem Gebiet der heutigen Schweiz waren das im Verlauf des Mittelalters zwischen zehn und 30 Orte. Die Situation lässt sich gewissermassen mit Europa vor der Währungsunion vergleichen - verschiedene Städte prägten ihre eigenen Münzen und wenn man eine andere Stadt besuchte, musste man herausfinden, wie der Wechselkurs aussah. Aber die Münzen im Mittelalter unterschieden sich vom Bargeld von heute in einem wichtigen Punkt: Der Wert einer Münze war direkt abhängig vom Silber- bzw. Goldgehalt.

Das ist deswegen wichtig, weil dieser Gehalt nicht immer gleich war. Wenn man den Silbergehalt einer Münze berechnen wollte, musste man zum einen ihr Gewicht beachten, zum anderen aber auch, wo und wann sie geprägt worden war. Je nach Verfügbarkeit betrug der Anteil an Silber in den Münzen nämlich zwischen 50% und 80%. Für Gold gilt das gleiche: Frühe Goldmünzen waren fast 24kt Gold, spätere nur noch 18kt.

Das Münzrecht in Zürich hatte bis 1525 das Fraumünster, ab 1425 auch die Stadt Zürich. Dieses Recht wurde mitunter an Bürger weiterverpachtet, wobei der Feinsilbergehalt vorgegeben wurde. Allerdings hielten sich die Münzpräger nicht immer daran, um so den Gewinn zu steigern.

Geldwechsler im Mittelalter brauchten also umfangreiche Informationen und Kenntnisse, um ihrem Gewerbe nachzugehen.

Umrechnungskurse

Heute sind Umrechnungen innerhalb einer Währung einfach: 1 Franken entspricht hundert Rappen. Im Mittelalter war das ganze komplizierter. Das liegt zum einem daran, dass Geld keinen Nominalwert, sondern einen Materialwert hatte, zum anderen, weil man im Mittelalter für Geld nicht das Dezimalsystem benutzte.

Grundsätzlich gab es für Umrechnungen zwei Bereiche zu betrachten: Der direkte Vergleich zwischen Münzen einerseits und Rechnungseinheiten andererseits.

Das karolingische Münzsystem

Das Münzsystem Karls des Grossen war die Grundlage des gesamten europäischen Münzwesens.
1 Pfund = 20 Schilling = 240 Pfennige
Schilling und Pfund dienten nur als Rechnungseinheiten. Das bedeutet, es gab keine Schilling- oder Pfundmünzen. Die Vorgabe war, dass aus einem (Karls-)pfund Silber 240 Pfennige geprägt werden sollen. Ein Karlspfund entsprach etwa 408g.

Eine weitere Rechnungseinheit kam später hinzu, die Mark. Es handelte sich wie das Pfund um eine Gewichtseinheit, um Münzen vergleichen zu können. 3 Mark Silber bedeutete also, Pfennige deren Silbergehalt insgesamt 3 Mark ausmachte. Auch hier gibt es aber Abweichungen: Die ("offizielle") kölnische Mark betrug 233.8 g, die Zürcher Mark 237.1 g. Als Richtgrösse lässt sich sagen, dass 2 Mark = 1 Pfund entsprachen.

In Zürich wurden erst Pfennige geprägt, später Angster und Haller, wobei 1 Angster = 2 Haller entsprach. Bei seiner Einführung galt, dass ein 1 Angster = 2 Pfennige sei.

Gold und Silber

Da Münzen keinen Nominalwert hatten, sondern ihren Materialwert, war das Wertverhältnis der Silbermünzen zu den Goldmünzen Schwankungen unterworfen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der Goldpreis stabiler war, als der Silberpreis. Eine Folge davon war, dass Juden in Zürich die Steuern in Gold zu bezahlen hatten, Christen durften dafür Silber verwenden.
Als Rechnungseinheit entsprach 1 Gulden = 2 Pfund Silber.

Was gilt jetzt?

Da in den überlieferten Urkunden abgesehen vom Pfennig jeweils Rechnungseinheiten verwendet wurden, sind diese gut zueinander ins Verhältnis zu setzen. Die atsächliche Anzahl Pfennige pro Pfund variierte im Laufe der Zeit recht stark. Der Einfachheit halber gehe ich trotzdem von den ursprünglich geplanten 240 aus.

1 Pfund = 2 Mark = 20 Schilling ~ 240 Pfennige

Preise für Waren und Dienstleistungen

Geldbeträge sind nur dann greifbar, wenn man ihnen einen Gegenwert zuordnen kann. Die Angabe allein, dass das Zürcher Bürgerrecht um 1400 etwa sieben Gulden kostete (abgesehen von anderen Auflagen), kann sonst in kein Verhältnis gesetzt werden. Was kostete das Leben im spätmittelalterlichen Zürich?

Lebensmittel

  • 1 Apfel: 0.2 Schilling
  • 1 Brot: 0.5 Schilling
  • 1 Aal: 1 Schilling
  • Rindfleisch, 1kg: 0.7 Schilling
  • Gerste, 10 Liter: 1.5 Schilling
  • Nüsse, 14 Liter: 1 Schilling
  • Pfeffer, 1kg: 16 Schilling
  • Wein, 11 Liter: 4 Schilling

Alltagsartikel und Einrichtungsgegenstände

  • Fenster: 7 Schilling
  • Leiter: 3 Schilling
  • Papier (Blankobuch): 3 Schilling
  • Obergewand: 10-200 Schilling
  • Schreibtafel: 5 Schilling
  • Schuhe: 6-8 Schilling
  • Tuch, 1 Elle: 12 Schilling
  • Wachs, 1kg: 8 Schilling
  • Sarg: 5 Schilling

Nutztiere

  • 1 Huhn: 1 Schilling
  • 1 Kalb: 14 Schilling
  • 1 Kuh: 55 Schilling
  • 1 Rind: 70 Schilling
  • 1 Pferd: 60 - 1120 Schilling

Handwerk etc.

  • Gebühr einer Prostituierten (ca. 1350): 0.2 Schilling
  • Jahresgehalt eines Zimmermanns (ca. 1350): 200 Schilling
  • Tagelohn eines Bauhandwerkers (ca. 1400): 2.5 Schilling

Um das oben erwähnte Bürgerrecht zu 7 Gulden wieder aufzugreifen: Ein Bauhandwerker musste also über 100 volle Tageslöhne dafür aufwenden.

Das Judenprivileg

Bis 1648 war Zürich Teil des Römisch-Deutschen Reiches (Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation). Der Status der Juden in Zürich war direkt abhängig von ihrem Sonderstatus im Römisch-Deutschen Reich.
Dieser Sonderstatus der Juden wurde jeweils Judenprivileg genannt, was heute ironisch anmutet und bestenfalls damit erklärt werden kann, dass ein Privileg theoretisch ein "Sonderrecht" und nicht zwingend ein "Vorrecht" ist.

Von 1100 bis zum Pestpogrom 1348-1351

1103

Im Römisch-Deutschen Reich waren Juden seit jeher eine verfolgte Minderheit, weswegen sie oft unter besonderen Schutz gestellt wurden. Der erste Kreuzzug nach Jerusalem im Jahr 1096 führte zu ausgedehnten Judenverfolgungen innerhalb des Reichs. Dies war mit ein Grund, dass Heinrich IV. im Mainzer Landfrieden von 1103 (Bild) Juden (die übrigens keine Waffen tragen durften) als besonders schutzwürdig bezeichnete. Damit standen sie theoretisch auf einer Stufe mit Klerikern, Händlern und Frauen. Zu diesem Zweck erklärte er sie zu homines minus potentes - minder mächtigen Menschen.

1236

Kaiser Friedrich II (Bild) erliess eine Verordnung, in der er die Juden zu servi camerae nostri - kaiserlichen Kammerknechten - erklärte. Dies bedeutete, dass sie als Besitz des Kaisers galten.
Ihr Leben und Eigentum standen damit unter seinem Schutz. Sie hatten das Recht auf Religionsausübung und durften in einigen Teilbereichen jüdisches Recht anwenden.
Insbesondere mussten sie aber von nun an einen Schutzbrief besitzen, ohne den sie jeder Willkür ausgesetzt waren. Den Schutz des Regenten genossen sie also nur, wenn sie
- einen Schutzbrief erbaten,
- diesen bezahlten
- und regelmässig erneuerten.

1250-1348

Dieser Judenschutz wandelte sich immer mehr zu einem Judenregal, vergleichbar etwa zum heute noch gebräuchlichen Salzregal. Der Kaiser, bzw. König, konnte Städten dieses Judenregal je nach Bedarf erteilen oder entziehen, wobei er aber stets der oberste Schutzherr blieb. Städte, die das Judenregal erhielten, durften Schutzbriefe für Juden auf ihrem Stadtgebiet ausstellen.
Nun mussten Juden die Schutzbriefe (Bild) von städtischen Obrigkeiten beziehen, welche wiederum dem Kaiser gegenüber für den Schutz seines Eigentums, sprich der Juden, verantwortlich waren.

1343 erklärte Kaiser Ludwig der Bayer den Juden ausdrücklich, dass sie ihm und dem Reich mit Leib und Gut angehörten und dass er mit ihnen tun und lassen könne, wie es ihm beliebe.

Innerhalb von Zürich galten für Juden weitere spezielle Regeln. Grundsätzlich aber war die Stadt dem Kaiser, bzw. König, gegenüber für den Schutz der Juden, dessen "Besitz", verantwortlich.

Der Richtebrief der Burger von Zürich

Der Richtebrief ist Zürichs Gesetzessammlung im Mittelalter. Bereits in der ersten Fassung von 1250 gab es drei Artikel, die konkret auf die Juden eingingen:
- Die Schächterlaubnis
- Das Verbot der Annahme von Kultgegenständen als Pfand
- Die Regeln betreffend Seide als Pfand.
In der von 1304 bis zum Ende des 14. Jahrhunderts geführten zweiten Fassung kamen drei weitere Regeln betreffend Juden hinzu.

Schächterlaubnis I

xcix. Der einung umb dc fleisch, das die iuden stechnt ald heis sent stechent

Den Juden wird zwar explizit erlaubt, ihre Nutztiere zu "stechen" (schächten), aber gleichzeitig schreibt ihnen der Zürcher Rat vor, wie, wem und zu welchem Preis (6 Pfennige pro Schaf) sie Fleisch weiter verkaufen müssen, das sie selbst nicht konsumiert haben.
Hervorzuheben ist, dass Metzger, die sich nicht an diesen Artikel halten, mit 5 Schilling gebüsst werden.

Zinssatz

ciiii. Wie ture man pfenningen und silber lihen sol

Der Zinssatz, an den sich Juden und Cawertsche (Geldverleiher aus Südfrankreich) zu halten haben, wird festgelegt:
ein pfunt umbe zwene [pfenninge] [zer wuchon]
also zwei Pfennige pro Pfund pro Woche. Dies ergibt einen Jahreszins von gut 43%. Dieser Zinssatz gilt nur für Bürger Zürichs, bei Auswärtigen darf ein höherer Zinssatz veranschlagt werden.

Kunden

cv. Dc caurtschin und iuden sun ungevarlich silber und pfenninge lihen uf pfender und burgen

Cawertschen und Juden sind verpflichtet, gegen Pfand oder Bürgschaft Geld zu verleihen.
Bei Weigerung ist eine halbe Mark (60 Pfennige) Wiedergutmachung zu zahlen.

Verbotene Pfande

cvi. Dc nieman kilchenschatz verpfenden sol

Es ist verboten, kirchliche Kultgegenstände als Pfand zu akzeptieren. Tut man dies doch, so muss der Gegenstand zurückgegeben werden.
Dieses Verbot ist sehr alt und galt durchaus nicht nur in Zürich. Trotzdem versetzten kirchliche Institutionen regelmässig Gegenstände aus ihrem Kirchenschatz.

Seide als Pfand

cvii. Von sidun, wie man die verpfenden sol

Seidenweberei ist im 13. Jahrhundert ein wichtiges Gewerbe in Zürich. Insbesondere dünne Seidenstoffe sind eine Spezialität und werden bis nach Polen und Ungarn exportiert.
Aus diesem Grund dürfen Seidenstoffe nur ab einer gewissen Dicke als Pfand akzeptiert werden.

Schächterlaubnis II

cx. [Von dem iuden vletsche]

Dieser Artikel ist eine Erweiterung oder Neufassung zu xcix. Der erste Teil ist praktisch identisch mit obigem Artikel, nur das nun Juden und Metzger bei Zuwiderhandlung gebüsst werden. Anschliessend werden die Regeln bezüglich des Rinderschächtens dargelegt:
Dieses hat in den Häusern der Juden stattzufinden. Darüberhinaus darf hier das nicht verwertete Fleisch explizit nicht den Metzgern verkauft werden, stattdessen sollen sie es im eigenen Haus jedem verkaufen, dem sie wollen, ausser den Metzgern.
Bei Zuwiderhandlung werden sowohl Jude als auch Metzger mit je einem Pfund gebüsst.

Da Juden fast nur als Geldverleiher und -wechsler geduldet wurden, hatten sie einen wichtigen Einfluss auf die Wirtschaft. Obwohl nicht viele Belege aus der Zeit der ersten jüdischen Gemeinde erhalten sind, geben sie einen guten Eindruck auf den Umfang dieses Einflusses.

Zürichs erste Kehillah und das Geld

Grundsätzlich mussten Juden eine Gebühr von 10 Mark Silber bezahlen, wenn sie sich in Zürich niederlassen wollten - und den gleichen Betrag nochmals entrichten, wenn sie wieder wegzogen.

Eine der ältesten Quellen stammt von 1304: Die Stadt Würzburg hatte bei einer Zürcher Jüdin einen Kredit von 100 Pfund Silber aufgenommen - das entsprach mehr als 20 Jahresgehältern eines Zimmermanns.
Um die gleiche Zeit verkaufte Freiherr Walter von Eschenbach sein Gut bei Thalwil, um seine Schuld von 89 Mark Silber begleichen zu können, und der Abt von Einsiedeln schuldete einer ungenannten Jüdin von Zürich 490 Pfund Silber.
Etwa gleichviel, 950 Mark Silber, nahm der Graf von Rapperswil auf.

1323 büsste der Rat von Zürich den Juden Vinnelin mit 10 Mark, weil er Verkehr mit einer christlichen Prostituierten gehabt hatte. Der Prostituierten erging es nicht viel besser: Sie wurde aus der Stadt verwiesen. Prostitution wurde zwar geduldet, aber nicht wenn sie religionsübergreifend angeboten wurde.

Besonders erwähnenswert ist auch der Hausverkauf von Jude Moses, der 1333 sein Haus an der Brunngasse seinem Schwiegersohn Fidel für 80 Mark Silber verkaufte. Zum einen, weil das zeigt, dass allein die vier oben erwähnten Kredite gereicht hätten, um fast 30 Häuser in Zürich zu kaufen. Zum anderen, weil dieses Haus nach dem Pogrom von 1349 in Stadtbesitz überging und Bürgermeister Rudolf Brun es für gerade einmal 10 ½ Mark Silber kaufen konnte.

Die Stadt Zürich selbst nahm auch Geld bei ihrer ersten jüdischen Gemeinde auf. Für drei solche Vorgänge sind die Belege erhalten:

  • 1343: Jacob der Jude bestätigt, dass die Stadt alle Schulden bei ihm bis auf 275 Pfund bezahlt hat. Wie gross die Gesamtschuld war, ist nicht bekannt.
  • 1346: Eine Schuld der Stadt Zürich über 1761 Mark Silber, zuzüglich Zinsen in Höhe von 85 Gulden (~340 Mark) bei vier Juden wird erwähnt.
  • 1348: Zürich schuldet einem Nathan 250 Gulden, einer Belen weitere 20 Gulden.

Jacob der Jude erklärt, von Bürgermeister, Rat und Bürgern von Zürich für alle seine Guthaben an sie, verbriefte und andere, bis auf 275 Pfund vollständig bezahlt zu sein. (27.03.1343 oder 21.08.1343)

Jacob der Jude erklärt, von Bürgermeister, Rat und Bürgern von Zürich für alle seine Guthaben an sie, verbriefte und andere, bis auf 275 Pfund vollständig bezahlt zu sein. (27.03.1343 oder 21.08.1343)

Diese Beträge, die Zürich innerhalb von fünf Jahren aufgenommen hat, hätten also gereicht, um mehr als 45 Häuser zu kaufen - oder deren 355, wenn man den Preis veranschlagt, den Bürgermeister Rudolf Brun gezahlt hat.

Es ist aber natürlich nicht so, dass stets so grosse Summen verliehen wurden. Ein Hinweis darauf ist, dass Juden aus Zürich zwischen 1333 und 1349 über fünfzig Mal Klage einreichten, weil Schulden nicht beglichen worden waren. Im Schnitt ging es bei diesen Klagen jeweils um knapp sechs Pfund.

23. Februar 1349: Das Zürcher Pogrom

1349 do brand man die Juden Zürichs an sant Mathis abend; won man sprach, si hettind gift in die brunnen getan.
Chronik der Stadt Zürich 1900

Seit 1348 verbreitete sich das Gerücht in Europa, die Juden hätten die Brunnen vergiftet und seien damit für die Pest verantwortlich. Obschon man früh erkannte, dass Juden von der Krankheit genauso betroffen waren wie Christen, führte dieses Gerücht zur schrecklichsten Verfolgungswelle gegen Juden bis zum Holocaust fast 600 Jahre später.

Im November 1348 war Solothurn die erste deutschsprachige Stadt, in der die ansässigen Juden verbrannt wurden. Bern, Zofingen und Stuttgart folgten im gleichen Monat, im Dezember Lindau, Horb und Esslingen... bis 1351 wurden etwa 400 jüdische Gemeinden von dieser Welle erfasst. Die Zürcher Kehillah wurde am 23. Februar 1349 ausgelöscht.

Wie genau das Pogrom in Zürich verlief, lässt sich nicht rekonstruieren. Es ist nicht davon auszugehen, dass es massgebliche Unterschiede zu anderen Städten gab. Vermutlich war auch in Zürich der Klerus nicht die treibende Kraft, sondern die Bürger und Zünfte. Die Räte der meisten Städte behaupteten zwar, dass sich der Volkszorn unerwartet entladen habe, aber man weiss, dass dies für gewöhnlich nicht stimmte und nur als Ausrede gegenüber dem König galt. Die Rädelsführer waren überall dort, wo Quellen vorhanden sind, Angehörige der Oberschicht. Die Frage "cui bono" - wer profitierte - lässt sich relativ leicht beantworten: Diejenigen, die Schulden bei den Juden hatten.

König Karl IV. selbst hatte beispielsweise einem Verbündeten drei Häuser von Juden in Nürnberg versprochen, sobald die Juden dort getötet würden. Diese Abmachung traf er fast ein halbes Jahr vor dem Nürnberger Pogrom. Ob er solche Abmachungen auch mit Zürich hatte, ist nicht bekannt.

Eidgenössische Geschichten, Band 1. Eintrag zum Pogrom 1349 in Zürich. (ca. 1690)

Eidgenössische Geschichten, Band 1. Eintrag zum Pogrom 1349 in Zürich. (ca. 1690)

Folgen des Pogroms

Da in Zürich des Königs Kammerknechte umgebracht worden waren, entgingen diesem Steuereinnahmen. Die Folgeverhandlungen zwischen dem Zürcher Rat und dem Gesandten des Königs kamen ein halbes Jahr nach den Geschehnissen zu einem Ergebnis:

Eine der Urkunden, in denen die Abmachung zwischen Zürich und dem König besiegelt ist. (05.09.1349)

Eine der Urkunden, in denen die Abmachung zwischen Zürich und dem König besiegelt ist. (05.09.1349)

  • Alle Schulden, die Christen bis zum Pogrom bei Juden gehabt hatten, wurden für nichtig erklärt.
  • Der Rat verkaufte die Judenhäuser, um damit eventuelle Schulden der ermordeten Juden zu bezahlen.
  • Anfallende Prozesskosten wurden aus dem jüdischen Erbe bezahlt.
  • Jüdische Frauen und Kinder, die das Pogrom überlebt hatten, durften ihr Vermögen behalten.
  • Alles andere fiel dem König zu.

Nicht lange nach dem Pogrom lebten wieder Juden in Zürich. Dies dürfte der Grund sein, warum sich der Rat zusätzlich bei den Hinterbliebenen der Opfer absicherte:

Visli Jud und seine Schwester Frau Guta, Kinder des verstorbenen Juden Meyses, erklären, für alle ihre Ansprüche an Bürgermeister, Rat und Bürger von Zürich vollständig befriedigt zu sein. (21.06.1352)

Visli Jud und seine Schwester Frau Guta, Kinder des verstorbenen Juden Meyses, erklären, für alle ihre Ansprüche an Bürgermeister, Rat und Bürger von Zürich vollständig befriedigt zu sein. (21.06.1352)

Der "verstorbene Jude Meyses" ist eben jener Rabbi Moses, der 1333 sein Haus seinem Schwiegersohn Fidel verkauft hatte. Weder Rabbi Moses noch Fidel überlebten das Pogrom.

Die Goldene Bulle

Auch nach den Pogromen im gesamten Reich änderte sich der Status der Juden im Römisch-Deutschen Reich praktisch nicht.
Im Gegenteil, in der Goldenen Bulle von 1356, dem wichtigsten Gesetzbuch des Reiches, steht in Kapitel 9:

Das viii. capitel Von den gultgrubin in dem riche zuo Beheim

[...] Sie mogen auch Judin han und zulle nemen, alse iz hievor uffgesetzit ist und mit lobelichir bewertir gewonheit von langin ziten an unsern seligin konige zuo Beheim und an die kurfursten und ir altirn mit virschrebeme lauffe rechtecliche bekant ist zuo behaltin. [...]

Lose übersetzt heisst es etwa:
"Sie [der König von Böhmen und andere Kurfürsten] dürfen auch Juden haben und Zölle einnehmen, wie es bisher üblich war."

Davon abgesehen, dass die Juden hier wieder als Besitz gehandelt werden, fällt das "auch" auf: Der grössere Teil des 9. Kapitels behandelt Gold- und andere Bergwerke. Die Erlaubnis, Juden zu besitzen und zu besteuern kommt als Nachgedanke zu den Besitzrechten an Goldgruben im wörtlichen Sinne.

Juden im Römisch-Deutschen Reich waren für den Kaiser offensichtlich in erster Linie Geldquellen. Von den Zürcher Juden profitierte also nicht nur Zürich, sondern auch der jeweilige Herrscher.

Reichssteuern und andere Abgaben

Die ältesten Angaben zu Reichssteuern stammen von 1241. Im Steuerregister des Römisch-Deutschen Reiches werden die Einnahmen aus Judensteuern erstmals gesondert geführt und machen über 16% der Gesamteinahmen aus - der Bevölkerungsanteil der Juden betrug weniger dabei als 1 Prozent.
Aus Zürich sind von 1334 und 1347 Quittungen überliefert, gemäss denen die Reichsjudensteuer 25 Gulden betrug - wobei dies vermutlich die Steuer für die gesamte Kehillah war.

1342 führte König Ludwig IV. den Goldenen Pfennig ein: Jeder Jude, der älter als zwölf Jahre war und mindestens 20 Gulden besass, musste dem Reich für seinen Schutz 1 Gulden pro Jahr zahlen.

Nach den Pogromen 1348-51 stand König Karl IV. das Erbe der ermordeten Juden zu. Wieviel das insgesamt war, lässt sich nicht nachvollziehen. Allerdings zog sein Vogt alleine in Schaffhausen, dessen jüdische Gemeinde kleiner als die in Zürich war, fast 14'000 Gulden ein.

König Wenzel IV. ordnete 1385 und 1390 eine Schuldentilgung an: Sämtliche Schulden bei Juden wurden ersatzlos gestrichen.
Ausserdem änderte er den Goldenen Pfennig dahingehend, dass die Steuer unabhängig vom Vermögen zu bezahlen war.

Sein Nachfolger Kaiser Sigmund führte 1414 neben anderen Sondersteuern den Dritten Pfennig ein, den Juden bei Königs- und Kaiserkrönung zu entrichten hatten. Der Name rührt daher, dass die Juden ein Drittel ihres Besitzes abzugeben hatten. Die gleiche Abgabe verlangte er auch als Finanzhilfe für seinen Krieg gegen die Hussiten. Die Abgabe der Christen für den Hussitenkrieg beschränkte sich auf ein Prozent ihres Vermögens.

Auch Sigmunds Nachfolger nutzten den Dritten Pfennig als Einnahmequelle - bis zum Ende des 15. Jahrhunderts wurde er noch weitere acht Mal erhoben.

Zürichs zweite Kehillah

Spätestens 1354, fünf Jahre nach dem Pogrom, waren wieder Juden in Zürich ansässig. Aus diesem Jahr stammt der älteste erhaltene Schirmbrief der zweiten jüdischen Gemeinde.

Bürgermeister, Rat und Bürger von Zürich erklären, die Juden und Jüdinnen, die in ihrer Stadt mit "Husroeichi" wohnhaft seien und bleiben wollen, unter ihren Schutz zu nehmen wie andere eingesessene Bürger. (25.02.1354)

Bürgermeister, Rat und Bürger von Zürich erklären, die Juden und Jüdinnen, die in ihrer Stadt mit "Husroeichi" wohnhaft seien und bleiben wollen, unter ihren Schutz zu nehmen wie andere eingesessene Bürger. (25.02.1354)

Der Schutzbrief ist verhältnismässig vorteilhaft, was ein Hinweis darauf ist, dass die Stadt wieder auf Juden als Kreditgeber angewiesen war:

  • Der Zinssatz für Darlehen war gleich wie zuvor, aber Juden durften nur ausdrücklich Pfänder verkaufen, die nicht ausgelöst wurden oder die ihren Wert verloren.
  • Die Stadt verpflichtete sich, ausstehende Darlehen samt Zins einzutreiben.
  • Das Wegziehen aus Zürich wurde nicht mehr mit einer Gebühr belegt.
  • Steuern werden in diesem Brief nicht erwähnt, in einzelnen späteren Schutzbriefen wurden Juden aber explizit für ein bis vier Jahre von Steuern befreit.

Judenprivileg von König Sigmund für die Stadt Zürich. (02.03.1425).

Judenprivileg von König Sigmund für die Stadt Zürich. (02.03.1425).

Ab 1377 enthalten die Schutzbriefe einige massgebliche Änderungen. Einerseits versprach die Stadt, den Halter vor fremden Gerichten zu schützen. Andererseits wurden nicht mehr mehrere Familien in einem Brief zusammengefasst, die Aufenthaltsdauer war beschränkt und die Steuern wurden festgehalten.
Ab der Jahrhundertwende erfolgten Verlängerungen gewöhnlich nur noch für ein Jahr.

1404 entzog der Rat den Juden "für immer und ewig" das Recht, vor Gericht gegen einen Christen auszusagen. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Geschäfte mündlich geschlossen wurden, erschwerte das die Geschäftstätigkeit für die Juden ungemein, da vor Gericht üblicherweise die Aussage, bzw. der Eid, galt.

1423 vertrieb der Rat alle Juden aus der Stadt, aber bereits ein Jahr später nahm er wieder vier jüdische Familien auf. Ab jetzt galt für jüdische Geldverleiher allerdings ein Zinssatz von 22%.

1436 beschloss die Stadtobrigkeit, Juden weder in der Stadt noch auf der Landschaft zu dulden, "[...] daz wellent sy Got und unser lieben froewen ze lob und eren tuon."
Dies war das Ende der zweiten Kehillah in Zürich.

Zürichs zweite Kehillah und das Geld

Steuern

Die Steuern für Juden wurden regelmässig in den Schutzbriefen festgelegt. Diese stiegen stetig an und verdoppelten sich im Durchschnitt zwischen dem Anfang und Ende der zweiten jüdischen Gemeinde auf über 50 Gulden pro Jahr. Christen zahlten deutlich weniger: 90 Prozent zahlten weniger als 1 Pfund pro Jahr.
Rudolf Kilchmatter, einer der reichsten Christen der Stadt, zahlte 1401 eine Steuer von 53 Pfund.

Im Jahr 1404/1405 entrichtete die jüdische Wohnbevölkerung Zürichs, die insgesamt weniger als 1 Prozent der Bevölkerung ausmachten, 638 Gulden Steuern: über 10 Prozen der Gesamteinnahmen.

Auszüge aus den Seckelbüchern, in denen die Einnahmen des Seckelamts verzeichnet wurden. (1396 - 1798)

Auszüge aus den Seckelbüchern, in denen die Einnahmen des Seckelamts verzeichnet wurden. (1396 - 1798)

"Geschenke"

Wenn in anderen Städten wieder Pogrome ausbrachen, liess sich Zürich von seiner Kehillah jeweils grosszügig dafür beschenken, dass dies hier nicht geschehen war. 1402 zahlten die Juden zudem Verzugszinsen, da sie nicht die gesamte Summe des "Geschenks" sofort aufbringen konnten.

  • 1393: 148 Gulden
  • 1402: 1500 Gulden
  • 1406/07: 365 Gulden

Sondergebühren

Ab 1397 zahlten auswärtige Juden, die mehr als eine Nacht in Zürich blieben, 1 Gulden pro Nacht. Das entsprach etwa der Hälfte der Jahresmiete, welche die Schuhmacherzunft für ihre Trinkstube entrichtete.
Ab 1423 musste für die Beerdigung eines auswärtigen Juden auf dem jüdischen Friedhof eine Gebühr von 1 Gulden entrichtet werden.
Das war ein lohnendes Geschäft, da es nur wenige jüdische Friedhöfe gab und so auswärtige jüdische Familien bei einem Todesfall gezwungen waren, Verstorbene in die nächste Stadt mit einem jüdischen Friedhof zu überführen.

Geldverleih

Ab 1376 wurden Schulden in den Eingewinnerverzeichnissen geführt, sofern der Verleih nicht mündlich abgeschlossen wurde. Diese Verzeichnisse wurden aber jeweils nur samstags geführt. Die Juden konnten also diese Eintragungen nicht selbst vornehmen lassen, da sie aus religiösen Gründen am Sabbat keinerlei Arbeit verrichteten. Die einzige Möglichkeit für sie war, einen Shabbes Goy einzustellen, einen nicht-jüdischen Dienstboten für Arbeiten am Samstag.
Etwa 3000 Einträge in den Eingewinnerverzeichnissen betreffen Geldverleih durch Juden (das Verbot, Geld gegen Zinsen zu verleihen, wurde von den Christen im Laufe der Zeit immer weniger befolgt), aber nur sechzig davon beschreiben Forderungen über 100 Gulden. Der Geldverleih, neben dem Arztberuf die einzige Tätigkeit, die Juden in Zürich erlaubt war, lief also immer schlechter.
Hochgerechnet kann gesagt werden, dass von Juden der zweiten Gemeinde ingesamt 20'000 Gulden verliehen wurden.

Bussen

Eine weitere Einkommensquelle waren Bussen, die für Juden gewöhnlicherweise hoch ausfielen.

  • Etwa ein Viertel aller Einnahmen, die das Ratsgericht Zürich von 1376-1386 durch Geldstrafen erzielte, gingen zu Lasten der Juden. Diese machten während dieser Zeit aber nur knapp zwei Prozent der Wohnbevölkerung aus.
  • Jüdische Frauen, die am Sonntag eine Badestube aufgesucht hatten, wurden mit 1 Mark Silber gebüsst. Das war mehr als die durchschnittliche Jahressteuer für Christen.
  • Ein Christ, der 1431 einem Juden eine Scheune samt Prostituierter zur Verfügung stellte, machte sich damit der Kuppelei schuldig. Dies galt als schweres Verbrechen und der Christ wurde mit 5 Mark gebüsst. Prostitution und Bordellbesuche hingegen waren zu dieser Zeit nicht grundsätzlich verboten, sondern nur für Geistliche, Verheiratete und Juden. Die Busse für den Juden betrug 40 Mark.

Zur zweiten jüdischen Gemeinde gibt es umfangreichere Quellen als zu ersten - dadurch ist es möglich, über einzelne Personen, mehr zu erfahren.

Mössli von Nürnberg

Mössli von Nürnberg lebte von 1379-1394 mit seiner Frau Meyran und sechs Kindern in Zürich. Während dieser Zeit stand er über achtzig Mal, also fast jeden zweiten Monat, vor dem Ratsgericht - sei es als Kläger, Angeklagter oder Zeuge.
Der letzte Fall ist der interessanteste:

1394 liess der Rat von Zürich Mössli verhaften, weil er eine Affäre mit der Ringgerin, einer Christin, gehabt hatte, aus der zwei Kinder hervorgegangen waren.
Er wurde mit 600 Gulden gebüsst - was etwa dem Gegenwert von 50 Wohnhäusern entsprach. Anschliessend hatte er die Wahl, sich taufen zu lassen (also den christlichen Glauben anzunehmen) oder aus der Stadt verwiesen zu werden. Er verliess die Stadt.

Damit war die Geschichte aber nicht abgeschlossen. Die Geliebte Mösslis, die Ringgerin, war verheiratet gewesen. Ihr Mann war offensichtlich eingeweiht gewesen und hatte Schweigegeld erhalten, ihre Mutter wusste auch Bescheid.
Die Ringgerin selbst wurde in einem Schandumzug durch die Stadt getrieben und dann gemeinsam mit ihrer Mutter, wegen Mitwisserschaft, aus der Stadt verwiesen. Der Ehemann ging straffrei aus.

Was die Kinder anbelangt, so wurde entschieden, dass mit Mösslis Busse ihre Betreuung bezahlt werden sollte, bis sie alt genug seien, um betteln zu gehen. Was diese Kosten anbelangt, ist nur ein Eintrag in den Büchern des Seckelamts zu finden: 1396 wurde für die Betreuung eines der beiden Kinder 1 ½ Pfund aufgewendet.

Smaria von der Neuen Stadt

Smaria von der Neuen Stadt war einer der prominentesten und wohlhabendsten Juden der zweiten Kehillah. Er lebte mit seiner Frau Hennli und ihren drei Kindern und der Familie des Smaria Pfefferkorn seit 1378 in der Froschaugasse 4. Aufgrund der gleichen Namen wurde Smaria von der Neuen Stadt auch Lang Smaria genannt, Smaria Pfefferkorn hingegen Kurz Smaria.

Die Froschaugasse im Murerplan von 1576.

Die Froschaugasse im Murerplan von 1576.

Lang Smaria war einer wichtigsten Steuerzahler Zürichs und zahlte bis zu 150 Gulden jährlich. Noch umfangreicher waren allerdings seine Geldbussen - etwa drei Viertel der Bussen aller Juden gingen auf sein Konto.

Als er 1383 Mössli von Nürnberg vor einen rabbinischen Gerichtshof laden wollte, was den Zürchern Juden verboten war, wurde er mit 200 Gulden gebüsst. Im gleichen Jahr bekam er eine weitere Strafe über 1000 Pfund, ohne das notiert wurde, wofür.

Um 1390 soll er einer Schuldnerin gegen drei Blutstropfen und eine sexuelle Berührung einen Schuldenerlass versprochen haben. Sie klagte ihn später an, er habe sie geschwängert. Im gleichen Jahr wurde er von anderen Bürgern wegen eines anderen Verhältnisses erpresst. Der Rat büsste ihn mit 300 Gulden und wies ihn vorübergehend aus der Stadt.

Wie unterschiedlich der Rat den Schutz der Juden wahrnahm zeigt folgendes Beispiel:
Als um 1417 Smaria und ein weiterer Jude bei Schwamendingen, damals noch in der Landschaft gelegen, von vier Männern überfallen wurden, beteiligten sich nur zwei Schwamendinger an der Verfolgung der Angreifer. Im Mittelalter galt dies normalerweise als unterlassene Hilfeleistung und war ein schweres Verbrechen. Der Rat ging der Sache nach, bestrafte aber niemanden.
Andererseits wurde 1381 der Christ Johannes Kuntz mit einer Geldbusse belegt, als dieser eine ausstehende Schuld bei Smaria nicht begleichen wollte und ihn mit einem Messer verletzte.

Vifli von Villingen

Dass Vifli von Villingen einen Übernamen hatte, weil er nicht der einzige Vifli in Zürich war, war nichts aussergewöhnliches. Dass er als "Bös Vifli" bekannt war, zeigt aber, dass er wohl kein einfacher Zeitgenosse war.

Er kam 1378 mit seiner Frau Hitzli, seinen zwei Söhnen und seinem Bruder nach Zürich. Zwischen 1380 und seinem Tod 1400 stand er über 100 Mal vor Gericht, die Hälfte der Zeit als Angeklagter - unter anderem wegen Messerstechereien mit anderen Juden, Prügeleien mit Jüdinnen und Beleidigungen.

1384 soll er ein totes Kind in die Synagoge gelegt haben. Smaria Pfefferkorn, der über der Synagoge wohnte, schilderte dem Rat, wie seine Magd das Kind gefunden habe und dass er in Erfahrung gebracht habe, dass Vifli der Missetäter war. Die Juden hatten die Befürchtung, dass die Tat einen neuen Pogrom auslösen konnte, was aber glücklicherweise nicht geschah.

In einem Gerichtsprotokoll von 1391 ist vermerkt, dass Vifli viel lüge und Lotterei betreibe und sich die Juden Zürichs vor seinem Verrat hüten müssten. Ausserdem behaupte er fälschlicherweise, er habe einen speziellen Schutzbrief der Stadt.

Im gleichen Jahr wurde er mit 5 Mark gebüsst, weil er sich von einer Frau ihren Urin hatte geben lassen, aus diesem geschlossen habe, dass sie schwanger sei und ihr angeboten habe, das Kind für 20 Gulden abzutreiben.

Dass Vifli angesicht all dieser Umstände nie aus Zürich weggewiesen wurde, zeigt, dass er wohl entweder ein wichtiger Steuerzahler war - was sich aber nicht belegen lässt - oder vielleicht doch einen speziellen Schutzbrief hatte.

1400 aber scheint ihn seine Streitsucht eingeholt zu haben - Ritter Götz von Hünenberg, ein Mitglied des Schaffhauser Rates, erschlug ihn mit Hilfe einiger Zürcher an der Glatt. Ob und wie sie dafür belangt wurden, ist nicht überliefert.

Lage der Juden in Zürich 1436-1866

Nach dem Ende der zweiten jüdischen Gemeinde in Zürich lebten nur noch zeitweise Juden auf Zürcher Staatsgebiet.
1489 beschlossen Bürgermeister und Rat erneut, dass alle Juden aus der Stadt wegziehen müssen.
In der Folgezeit gab es vor allem in Winterthur Juden, da diese eine der wenigen Städte war, die sie duldete.
1549 wies der Rat von Zürich einen Juden Abraham wegem "schlimmem und verdächtigem" Handeln aus der Stadt aus.
Aus dem Jahre 1558 ist eine Bewilligung des Zürcher Rats überliefert, den Juden Juda für ein weiteres Jahr in Andelfingen, das zum Zürcher Staatsgebiet gehörte, zu dulden.
1675 befahl der Rat von Zürich dem Vogt von Eglisau, Juden das Territorium nur gegen doppelten Wegzoll passieren zu lassen und Sorge zu tragen, dass auf Zürcher Staatsboden keinen Handel trieben.
1676 wies der Zürcher Rat Andelfingen an, jüdischen Pferdehändlern den doppelten Zoll pro Pferd zu verrechnen - die Juden selbst dürften das Land aber nicht betreten.
Von 1788 ist ein weiteres Mandat des Zürcher Rats erhalten, dass Juden verbietet, Zürcher Staatsgebiet zu betreten.

Ab 1798, mit dem erfolgreichen Einmarsch der französischen Truppen in die Schweiz, begann die Helvetische Republik. Standesunterschiede wurden abgeschafft und es galt ein allgemeines Bürgerrecht - aber nicht für Juden. Die Zürcher Vertreter im helvetischen Grossen Rat setzten sich zwar dafür ein, dies zu ändern, waren aber erfolglos. Insgesamt gibt es nur sehr wenige Quellen, die eine Anwesenheit von Juden in Zürich während der Helvetik belegen.

Aus der Mediation, von 1803-1813, stammen einige antijüdische Gesetze, zum Beispiel von 1805: "Den Hebräern ist der Kauf und Verkauf von Kaufmanns- und Kleiderwaren und der Zutritt zu hiesigem Kanton gänzlich untersagt [...]"

Während der Restauration von 1815-1830 erteilte der Zürcher Stadtrat mehrmals befristete Aufenthaltsbewilligungen, aber nach wie vor waren die Handelsverbote vielseitig.

In den nächsten 30 Jahren wurde die Lage für die Juden in Zürich zwar besser - so war der Jude Jaques Ris einer der Mitbegründer der Schweizerischen Kreditanstalt - aber erst am 3. März 1862 wurde in Zürich das "Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der Juden" angenommen, das Beschränkungen, welchen die Juden im Kanton Zürich auf den Verkehr und die Niederlassung unterworfen waren, aufhob. Im Januar 1866 folgte die Emanzipation im Rest der Schweiz und ab dem 25. April 1866 durften Juden in Zürich das Bürgerrecht beantragen.

Abschliessende Gedanken

Auf der Suche nach einer Story für dieses Projekt fielen mir die zahlreichen Geldsummen auf, die im Zusammenhang mit den jüdischen Einwohnern Zürichs im Spätmittelalter standen. Dass Juden während des ganzen Mittelalters und weit darüber hinaus Anfeindung und Verfolgung ausgesetzt waren, ist sicherlich den meisten bewusst. Ebenso, dass sie meist nur als Geldverleiher arbeiten durften. Wie wichtig sie aber in dieser Rolle für die Städte waren, ist weniger verbreitetes Wissen. Das gleiche gilt für die Vielzahl von Erlassen, Gesetzen und Verordnungen, welche die Schlechterstellung der Juden gesetzlich verankerten.
Es ist natürlich nicht so, dass alle Christen allen Juden gegenüber stets feindlich gesinnt waren. Auch in Zürich gibt es Hinweise auf gemeinsame Feste und anderes geselliges Beisammensein - für das Christen mitunter auch gebüsst wurden.

1999 wurde in Zürich eine erste Gedenktafel montiert. Sie handelte das Pogrom mit
"Die Blütezeit der jüdischen Gemeinde Zürichs fand im Pogrom von 1349 ein abruptes Ende" ab (Tages-Anzeiger, 24.2.1999). Ein Jahr später wurde die Tafel ersetzt (siehe unten).

Die Gedenktafel in Zürich an der Froschaugasse. Montiert im Jahr 2000.

Die Gedenktafel in Zürich an der Froschaugasse. Montiert im Jahr 2000.

Dank an

Prof. Dr. Hildegard Elisabeth Keller

Virginia Wyss

Benedikt Zäch, Leiter Münzkabinett Winterthur

Constantin Seibt

Staatsarchiv Zürich

Sigel von Vifli dem Juden: 3 Judenhüte. (1352)

Sigel von Vifli dem Juden: 3 Judenhüte. (1352)

Quellen

Textquellen

Die für diese Story besonders informativen Quellen sind mit * gekennzeichnet.

Bilder

Audio und Soundtrack

Dieser Beitrag entstand im Seminar Brunngasse 8 und Film (Prof. Dr. Hildegard Keller, Frühlingssemester 2018) am Deutschen Seminar der Universität Zürich.